- 4.7.2025
Die älteste Geschichte der Welt - Hörbuch zum Einschlafen
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MusikTranskript
00:00:00Hört die Geschichte, die älteste der Welt, eingraviert mit dem Griffel der Zeit auf Tafeln aus gebranntem Ton,
00:00:08geborgen aus dem schweigenden Staub der versunkenen Jahrtausende.
00:00:12Es ist die Saga von Gilgamesch, dem gewaltigen König der Stadt Uruk,
00:00:18Uruk mit den hoch aufragenden Mauern, Uruk mit dem heiligen Bezirk Iana, dem strahlenden Juwel Mesopotamiens.
00:00:28Gilgamesch, dessen Wesen zu zwei Dritteln göttlich war, geformt aus der Essenz der himmlischen und nur zu einem Drittel sterblich,
00:00:38ein Funke Menschlichkeit in einem übermenschlichen Rahmen.
00:00:43Ein Wesen von atemberaubender Kraft, dessen arme Felsen zerschmettern konnten und dessen Geist so ungestüm und wild war wie ein ungezähmter Fluss.
00:00:53Sein Name, Gilgamesch, heilte durch die Lande Sumer und Akkad, ein Echo, getragen vom Wüstenwind,
00:01:03gefürchtet von seinen Feinden, bewundert, wenn auch widerwillig, von seinem eigenen Volk.
00:01:10Er war bestimmt, der Hirte seines Volkes zu sein, der Beschützer von Uruk.
00:01:15Doch seine frühe Herrschaft war ein Joch, schwer und unbarmherzig, geprägt von einer Tyrannei,
00:01:24die aus seiner unermesslichen Kraft und seinem unersättlichen Verlangen nach Selbstbestätigung erwuchs.
00:01:31Er forderte die jungen Männer von Uruk zu unaufhörlichen, zermürbenden Wettkämpfen heraus,
00:01:37sei es in Ringen, in Laufen oder in kriegerischen Spielen.
00:01:41Er erschöpfte ihre Kraft, ihre Jugend, ihren Lebenswillen mit seiner unbändigen göttlichen Energie,
00:01:50gegen die kein Sterblicher bestehen konnte.
00:01:54Er, der König, beanspruchte das bittere Recht der ersten Nacht bei jeder Braut,
00:02:00ein Schatten, der sich über jede Hochzeitsfeier legte,
00:02:04bevor die junge Frau ihrem angetrauten Ehemann zugeführt wurde.
00:02:07Die Herzen der Väter waren schwer, die Mütter weinten in Verborgenen.
00:02:14Die Bürger von Uruk, Männer und Frauen stöhnten unter der Last seiner unkontrollierten Macht,
00:02:20unter der Bürde seiner Launen.
00:02:23Ihre Klagen, zuerst ein Flüstern in den Gassen, dann ein Murren auf den Plätzen,
00:02:29stiegen schließlich als verzweifeltes Gebet auf zu den Göttern in weiten Himmel,
00:02:33zu Anu, dem Allvater.
00:02:36Anu, der Herr des Formaments, der oberste der Götter, dessen Ohren kein Leid verschlossen blieb,
00:02:42hörte das anhaltende Wehklagen seines Volkes.
00:02:46Er rief Aruru zu sich.
00:02:48Die große Göttin der Schöpfung, jene, die den Menschen aus dem Lehm der Erde geformt hatte.
00:02:53Anu sprach mit ernster Stimme.
00:02:56Aruru, du hast die Menschen erschaffen.
00:03:00So höre nun ihre Not.
00:03:02Gilgameshs Kraft kennt keine Grenzen.
00:03:05Seine Arroganz verdunkelt den Glanz von Uruk.
00:03:09Erschaffe nun ein Gegenstück zu ihm.
00:03:11Einen, der seiner Wildheit, seiner ungestümen Natur ebenbürtig ist.
00:03:17Mögen ihre Kräfte sich messen.
00:03:19Mögen sie miteinander ringen wie zwei junge Stiere,
00:03:22damit Gilgamesh Demut lernt und Uruk endlich Ruhe findet.
00:03:27Aruru, die Gehorsame, vernahm die Worte Anus.
00:03:33Sie wusch ihre Hände in reinem Wasser,
00:03:36nahm eine Hand voll Lehm von der unberührten Steppe,
00:03:39befeuchtete ihn mit ihrem göttlichen Speichel
00:03:42und formte mit kundigen Händen Enkidu,
00:03:46den Wilden, den Sohn der Stille,
00:03:49ein Geschöpf der Natur.
00:03:50Sein ganzer Körper war bedeckt mit dichtem Haar.
00:03:54Sein Haupthaar wuchs lang und ungebändigt wie das einer Frau,
00:03:59zottig und struppig wie das Fell des Getreides in Wind.
00:04:03Er kannte keine menschliche Siedlung,
00:04:06kein gekochtes Essen, keine gewebten Kleider.
00:04:10Mit den flinken Gazellen weidete er auf den saftigen Gräsern der Ebene.
00:04:14Mit dem scheuen Wild drängte er sich an die kühlen Wasserstellen.
00:04:20Mit den unzähligen Geschöpfen der Steppe
00:04:22labte sich sein unschuldiges Herz am reinen Wasser.
00:04:27Sein Leben war Freiheit, instinktgesteuert und rein.
00:04:32Ein Fallensteller, ein Jäger,
00:04:35dessen sorgsam gelegte Fallen Enkidu mit leichter Hand zerstörte
00:04:39und dessen mühsam gegrabene Groben er wieder zuschüttete,
00:04:43um die Tiere der Wildnis zu schützen,
00:04:46erblickte ihn eines Tages an der Tränke.
00:04:49Drei Tage in Folge begegnete der Fallensteller diesem urwüchsigen Mann
00:04:53und tiefe Furcht packte ihn,
00:04:56lähmte seine Glieder.
00:04:58Sein Gesicht, sonst sonnengebräunt und wetterfest,
00:05:01war blass und entstellt von der schieren Angst vor dieser unheimlichen Erscheinung.
00:05:09Er eilte so schnell in seine Füße,
00:05:11trugen zu seinem alten Vater
00:05:12und berichtete mit bebender Stimme von dem gewaltigen Wilden,
00:05:16der seine Arbeit zunichte machte
00:05:18und eine Aura ungezähmter Kraft ausstrahlte.
00:05:22Der weise Vater hörte die Geschichte seines Sohnes
00:05:24und riet ihm,
00:05:26Gehe nach Uruk, der Stadt mit den mächtigen Mauern.
00:05:30Tritt vor den König Gilgamesh,
00:05:32denn er ist von großer Weisheit und Macht.
00:05:35Erzähle ihm von diesem Mann aus der Steppe.
00:05:38Gilgamesh wird wissen, was zu tun ist.
00:05:41Der Fallensteller, seinen Rat annehmend,
00:05:44machte sich auf den langen und beschwerlichen Weg,
00:05:47erreichte die Tore von Uruk
00:05:49und trat schließlich vor den Thron des Königs.
00:05:52Er erzählte von Enkidu,
00:05:54von seiner übermenschlichen Stärke,
00:05:57seiner tiefen Verbundenheit mit den Tieren
00:05:59und wie er die Jagd und das Fallenstellen in der Steppe unmöglich machte.
00:06:06Gilgamesh hörte den Worten des Fallenstellers
00:06:08mit gespannter Aufmerksamkeit zu.
00:06:11Er, der keine Herausforderung scheute,
00:06:15dessen Herz sich nach einem ebenbürtigen Gegner sehnte,
00:06:19dessen Seele eine Leere fühlte,
00:06:21die kein sterblicher Wettstreiter füllen konnte,
00:06:26ersann einen listigen Plan.
00:06:28Er sprach zum Fallensteller mit ruhiger, aber fester Stimme.
00:06:32Kehre zurück zu deiner Tränke,
00:06:36zu dem Ort, an dem du diesen Wilden gesehen hast.
00:06:40Nimm Shamat mit dir,
00:06:42eine der heiligen Kortisanen des Ishtar-Tempels,
00:06:46eine Frau von großer Schönheit und Verführungskunst.
00:06:50Lass sie ihre weiblichen Reize enthüllen,
00:06:52wenn Enkidu zur Tränke kommt, um seinen Durst zu stillen.
00:06:55Wenn er ihre Schönheit erblickt, wird er, der keine Frau kennt,
00:07:01sich ihr unweigerlich nähern.
00:07:03Und wenn er sich mit ihr vereinigt hat,
00:07:05werden ihn seine tierischen Gefährten,
00:07:08die mit ihm in der Steppe aufwuchsen
00:07:09und seine Unschuld teilten,
00:07:12verstoßen und meiden.
00:07:14Der Fallensteller tat, wie ihm von Gilgamesch geheißen.
00:07:18Er kehrte in die Steppe zurück,
00:07:20und Shamat, die Priesterin der Liebe,
00:07:22begleitete ihn.
00:07:25Sie harten geduldig an der Wasserstelle aus.
00:07:29Am ersten Tag kam Enkidu nicht.
00:07:32Am zweiten Tag, als die Sonne tiefer sank,
00:07:35kam Enkidu nicht.
00:07:37Doch am dritten Tag,
00:07:39als das durstige Vieh in langen Zügen zur Tränke kam,
00:07:43erschien inmitten der Herden auch Enkidu.
00:07:47Shamat, mutig und ihrer Aufgabe bewusst,
00:07:50entblößte ihre Brüste,
00:07:53sie zeigte ihm ihre anmutige Schönheit,
00:07:56eine Offenbarung in der rauen Wildnis.
00:07:59Enkidu,
00:08:00der nie zuvor eine Frau gesehen hatte,
00:08:03dessen Welt nur aus Tieren und Natur bestand,
00:08:06war wie gebannt,
00:08:07gefesselt von ihrem Anblick.
00:08:10Sechs Tage und sieben Nächte lang
00:08:12liebte er Shamat.
00:08:14Er gab sich der ihm unbekannten
00:08:16Ekstase und Zärtlichkeit.
00:08:19Danach, als er sich gesättigt und verändert erhob
00:08:22und zu seinen Tieren,
00:08:23seinen Freunden der Steppe,
00:08:25zurückkehren wollte,
00:08:26da flohen die Gazellen scheu vor ihm,
00:08:29die Herden des Wildes wichen ihm aus
00:08:31und erkannten ihn nicht mehr.
00:08:33Enkidu war geschwächt,
00:08:36seine Knie versagten ihm den Dienst,
00:08:38denn seine tierischen Gefährten
00:08:40waren unwiederbringlich fort.
00:08:43Seine ursprüngliche Wildheit war gebrochen,
00:08:46doch er hatte auch Weisheit gewonnen,
00:08:48Verstand und menschliches Bewusstsein
00:08:50waren in ihn gekommen.
00:08:52Er war nicht mehr nur Tier,
00:08:54sondern begann, Mensch zu werden.
00:08:56Er kehrte zu Shamat zurück,
00:08:58die ihn mit sanftem Lächeln erwartete,
00:09:00und setzte sich zu ihren Füßen, lauschend.
00:09:04Shamat sprach zu ihm mit melodiöser Stimme.
00:09:08Du bist schön geworden, Enkidu.
00:09:11Deine Züge sind edel.
00:09:13Du gleichst einem Gott.
00:09:16Warum willst du weiterhin mit den Tieren
00:09:19durch die einsame Steppe schweifen?
00:09:21Komm mit mir nach Uruk,
00:09:23der Stadt mit den starken Mauern,
00:09:25dem Zentrum der Zivilisation,
00:09:28zum heiligen Tempel von Iana,
00:09:29dem erhabenen Sitz von Anu
00:09:32und der strahlenden Ishtar.
00:09:34Dort in Uruk wohnt Gilgamesch,
00:09:37der Mann von vollkommener,
00:09:39unübertroffener Kraft,
00:09:41der wie ein wilder Stier
00:09:42über den Menschen thront,
00:09:44aber auch ein Herz besitzt,
00:09:46das nach Freundschaft dürstet.
00:09:48Ihre Worte?
00:09:50Wie Samen in fruchtbare Erde gestreut,
00:09:53fanden Eingang in sein neu erwachtes Herz.
00:09:56Er spürte eine tiefe Sehnsucht
00:09:59nach einem Freund,
00:10:00nach jemandem,
00:10:01der sein Herz verstehen,
00:10:03seine Stärke anerkennen
00:10:04und seine Einsamkeit teilen würde.
00:10:07Er sagte zu Shamat,
00:10:09führe mich nach Uruk,
00:10:11in diese Stadt der Wunder,
00:10:14führe mich zu Gilgamesch.
00:10:16Ich will ihn herausfordern,
00:10:18ich will ihm meine Stärke zeigen,
00:10:21die Stärke der Steppe
00:10:22und sehen,
00:10:24ob er meiner würdig ist.
00:10:26Shamat kleidete Enkidu
00:10:28mit einem Teil
00:10:29ihres eigenen kostbaren Gewandes,
00:10:31den anderen Teil behielt sie für sich,
00:10:34als Zeichen ihrer Verbindung.
00:10:36Sie führte ihn geduldig
00:10:37zu einer bescheidenen Hütte von Hirten
00:10:40am Rande der Zivilisation.
00:10:42Dort, unter einfachen Leuten,
00:10:44lernte Enkidu Brot zu essen,
00:10:47das feste Nahrung der Menschen,
00:10:48das er zuvor nicht gekannt hatte,
00:10:50dessen Geschmack ihm fremd
00:10:52und auch seltsam befriedigend war.
00:10:54Er lernte,
00:10:56Bier zu trinken,
00:10:58das berauschende Getränk
00:11:00der Geselligkeit,
00:11:01das seine Sinne erweiterte,
00:11:04aber auch verwirrte.
00:11:06Er wusch seinen stark beharrten Körper,
00:11:09reinigte sich von dem Staub
00:11:10der Steppe,
00:11:12salbte sich mit duftendem Öl
00:11:14und wurde so mehr und mehr
00:11:15wie ein zivilisierter Mensch.
00:11:17Er nahm eine Waffe,
00:11:20einen Speer
00:11:21und eine Keule,
00:11:23um Löwen zu jagen,
00:11:24die die Herden bedrohten,
00:11:26und Wölfe zu fangen,
00:11:28damit die Hirten
00:11:29nachts in Frieden ruhen konnten.
00:11:32Er wurde ihr Beschützer,
00:11:34ihr Wächter,
00:11:35ein Held der einfachen Leute.
00:11:38Eines Tages,
00:11:39als die Sonne hoch am Himmel stand,
00:11:41sah Enkidu einen Mann eilig
00:11:43und aufgeregt
00:11:44an der Hütte vorbeigehen.
00:11:45Er fragte Schammert
00:11:47nach dem Grund dieser Hast.
00:11:49Der Mann,
00:11:50so erklärte sie,
00:11:52war auf dem Weg
00:11:52zu einer Hochzeitsfeier in Uruk,
00:11:55wo Gilgamesch,
00:11:57so war es der unheilvolle Brauch
00:11:59des Königs,
00:12:00die Braut zuerst nehmen würde,
00:12:02bevor sie ihrem Bräutigam
00:12:04übergeben wurde.
00:12:05Ein tiefer,
00:12:06heiliger Zorn
00:12:07erfasste Enkidu
00:12:08bei diesen Worten.
00:12:10Sein Gesicht,
00:12:11sonst von naiver Offenheit,
00:12:13erbleichte vor Empörung
00:12:15über diese Ungerechtigkeit.
00:12:17Er beschloss auf der Stelle,
00:12:19nach Uruk zu gehen
00:12:20und diesem arroganten König
00:12:22entgegenzutreten,
00:12:24seine Tyrannei zu beenden.
00:12:26Als Enkidu,
00:12:27der Mann der Wildnis,
00:12:28in die große Stadt Uruk einzog,
00:12:31versammelte sich das neugierige Volk
00:12:33auf den Straßen und Plätzen um ihn.
00:12:36Sie bestaunten
00:12:36seine gewaltige Größe,
00:12:38seine ungeschliffene Kraft,
00:12:40die aus jeder Pore seines Körpers
00:12:42zu strömen schien,
00:12:44seine vollkommene Andersartigkeit.
00:12:47Sie tuschelten und sagten,
00:12:50er gleicht Gilgamesch an Gestalt,
00:12:53ist fast so groß wie er,
00:12:55doch ist er kürzer gewachsen.
00:12:58Aber,
00:12:59seht seine Muskeln,
00:13:01er ist stärker gebaut,
00:13:03seine Knochen sind dicker.
00:13:04Als Gilgamesch
00:13:05sich dem Hochzeitshaus näherte,
00:13:07in vollem Ornat
00:13:08und von Wachen begleitet,
00:13:11um sein ungerechtes Anrecht
00:13:12geltend zu machen,
00:13:14stellte sich Enkidu
00:13:15ihm entschlossen in den Weg.
00:13:17Er blockierte den Eingang
00:13:19mit seinem mächtigen Fuß,
00:13:21unbeweglich wie ein Fels.
00:13:23Sie packten einander
00:13:24ohne ein Wort,
00:13:25ihre Muskeln spannten sich
00:13:27wie zwei gewaltige Stiere
00:13:29schnaubend vor dem Kampf.
00:13:31Sie zerbrachen
00:13:32die Türpfosten des Hauses,
00:13:35die Mauern
00:13:35der umliegenden Gebäude
00:13:37bebten unter der Wucht
00:13:38ihres Ringens.
00:13:40Gilgamesch,
00:13:40der es gewohnt war,
00:13:41jeden Gegner mühelos zu besiegen,
00:13:44spürte zum ersten Mal
00:13:45einen Widerstand,
00:13:47der ihm ebenbürtig war.
00:13:49Er beugte sein Knie,
00:13:50ein Zeichen der Anerkennung,
00:13:52seine königliche Wut
00:13:54wich einer neuen,
00:13:55unerwarteten Erkenntnis.
00:13:57Er kannte in Enkidu
00:13:59nicht nur einen Feind,
00:14:00sondern einen Gleichgestellten,
00:14:02einen Rivalen
00:14:03von gleicher Statur,
00:14:05vielleicht sogar
00:14:05den ersehnten Freund.
00:14:07Nach dem erbitterten Kampf,
00:14:09der keinen klaren Sieger
00:14:11hervorbrachte,
00:14:13sondern in gegenseitiger
00:14:14Erschöpfung
00:14:15und Bewunderung endete,
00:14:18umarmten sie sich.
00:14:20Eine Stille legte sich
00:14:21über die Menge,
00:14:22die das Unfassbare
00:14:23bezeugt hatte.
00:14:25Ninsum,
00:14:26die weise und göttliche Mutter
00:14:28von Gilgamesch,
00:14:29die den Kampf
00:14:30mit prophetischem Blick
00:14:31beobachtet hatte,
00:14:33sah die tiefe Verbindung,
00:14:34die zwischen diesen beiden
00:14:36außergewöhnlichen Männern
00:14:37entstanden war.
00:14:38Sie trat vor,
00:14:40segnete ihre Verbindung
00:14:41und erklärte Enkidu
00:14:43zu ihrem Adoptivsohn,
00:14:46zu Gilgameschs geliebtem Bruder.
00:14:48So begann eine Freundschaft,
00:14:50so tief
00:14:51und unerschütterlich,
00:14:54dass sie in den alten
00:14:54Geschichten und Liedern
00:14:56ihresgleichen sucht,
00:14:57eine Legende
00:14:58für alle Zeiten.
00:15:00Doch Gilgamesch,
00:15:02dessen Herz
00:15:03wie ein gefangener Vogel,
00:15:05schlug,
00:15:05rastlos
00:15:06und getrieben
00:15:07von einem unstillbaren Durst
00:15:09nach Ruhm,
00:15:10konnte nicht lange
00:15:11untätig in Uruk verweilen,
00:15:14selbst nicht an der Seite
00:15:15seines neuen Freundes.
00:15:17Sein Geist dürstete
00:15:18nach neuen Abenteuern,
00:15:20nach Taten,
00:15:21die seinen Namen
00:15:21unsterblich machen würden,
00:15:23nach einem Ruhm,
00:15:24der die Zeiten überdauern
00:15:25und noch in fernster Zukunft
00:15:27besungen würde.
00:15:29Er sprach zu Enkidu,
00:15:30seinem Blutsbruder.
00:15:32Mein Freund,
00:15:33mein Bruder Enkidu,
00:15:35in den fernen Zedernbergen
00:15:36des Libanon,
00:15:37dort, wo die Bäume
00:15:38bis in den Himmel ragen,
00:15:40haust ein furchtbares Ungeheuer,
00:15:43Humbaba genannt.
00:15:45Sein Brüllen ist
00:15:45wie die entfesselte Sturmflut,
00:15:48sein Atem ist glühendes Feuer,
00:15:50sein Rachen ist der sichere Tod.
00:15:52Ich will ihn erschlagen,
00:15:54diesen Wächter des Waldes
00:15:55und alles Böse und Finstere
00:15:57aus dem Land vertilgen.
00:15:59Ich will die heiligen Zedern fällen,
00:16:01deren süßer Duft weithin reicht
00:16:03und die Tempel der Götter
00:16:05schmücken sollen.
00:16:07Enkidu,
00:16:08der die Schrecken Humbabas
00:16:09aus seiner Zeit
00:16:10in der Wildnis kannte,
00:16:12dessen Macht er selbst erfahren hatte,
00:16:15erschrak zutiefst
00:16:16bei diesen Worten.
00:16:18Seine Augen,
00:16:19sonst so klar und mutig,
00:16:20füllten sich mit Tränen der Angst.
00:16:24Humbaba,
00:16:25sagte er mit stockender Stimme,
00:16:27ist der unbesiegbare Wächter
00:16:29des heiligen Zedernwaldes,
00:16:31eingesetzt von Enlil selbst,
00:16:34dem Herrn der Götter,
00:16:35dem König des Landes.
00:16:38Wer unbefugt seinen Wald betritt,
00:16:41wer seine Ruhe stört,
00:16:43den ereilt unausweichlich
00:16:45das Verderben.
00:16:47Seine Stimme ist der reine Schrecken,
00:16:49sein Blick ist der leibhaftige Tod.
00:16:52Wie können wir es wagen,
00:16:54uns ihm entgegenzustellen?
00:16:56O Gilgamesch?
00:16:58Doch Gilgamesch lachte nur.
00:17:00Ein Lachen,
00:17:01das die Zweifel verscheuchen sollte.
00:17:05Was sind schon Menschen,
00:17:07mein lieber Freund?
00:17:09Ihre Tage sind gezählt,
00:17:11ihre Lebensspanne ist kurz
00:17:12wie ein Hauch im Wind.
00:17:14Nur die Götter allein leben ewig
00:17:16in ihrer himmlischen Herrlichkeit.
00:17:18Wenn ich in Kampf falle,
00:17:20so habe ich mir doch
00:17:21einen unvergänglichen Namen gemacht.
00:17:23Man wird in den kommenden
00:17:25Zeitaltern sagen,
00:17:27Gilgamesch fiel in ehrenvollen Kampf
00:17:29gegen den furchtbaren Humbaba.
00:17:32Aber wenn wir siegen,
00:17:33mein Bruder,
00:17:34welch unsterblicher Ruhm,
00:17:37welch unermessliche Ehre
00:17:38wird uns zuteil werden.
00:17:40Er ließ prächtige Äxte
00:17:42für den Kampf schmieden,
00:17:44jede aus Bronze,
00:17:45drei Talente schwer
00:17:46und gewaltige Schwerter,
00:17:49deren Klingen in der Sonne blitzten.
00:17:52Die Ältesten von Uruk,
00:17:53die Weisen der Stadt,
00:17:55versuchten mit vielen Worten
00:17:56und guten Ratschlägen,
00:17:58ihn von seinem gefährlichen Vorhaben
00:18:00abzubringen.
00:18:01Doch ihre Bemühungen waren vergebens.
00:18:05Gilgameschs Entschluss stand fest.
00:18:07Sie segneten ihn schließlich
00:18:09mit schweren Herzen
00:18:10und ermahnten ihn eindringlich,
00:18:13Enkidu stets vorangehen zu lassen,
00:18:15denn Enkidu kannte die verborgenen Wege
00:18:17und die vielfältigen Gefahren des Waldes.
00:18:21Ninsun, seine göttliche Mutter,
00:18:24zog sich in ihr Heiligtum zurück
00:18:26und betete inbrünstig zu Shamash,
00:18:29dem mächtigen Sonnengott.
00:18:31Er möge ihren geliebten Sohn
00:18:33auf seiner Reise beschützen
00:18:34und ihm ihm am Kampf beistehen.
00:18:37Gemeinsam, Seite an Seite,
00:18:40machten sich Gilgamesch und Enkidu
00:18:42auf die lange und gefährliche Reise.
00:18:45Fünfzig Doppellängen
00:18:46legten sie an einem einzigen Tag zurück,
00:18:49ihre Entschlossenheit verlieh ihnen Flügel.
00:18:52Eine Reise,
00:18:53die normalerweise anderthalb Monate gedauert hätte,
00:18:56bewältigten sie in nur drei Tagen,
00:18:58so groß war ihre Eile.
00:19:01Sie erreichten den Rand des Zedernwaldes,
00:19:03dessen Anblick ihnen den Atem nahm
00:19:05und tiefe Ehrfurcht einflößte.
00:19:08Die Zedern,
00:19:09uralt und majestätisch,
00:19:12ragten wie grüne Türme
00:19:14bis in den blauen Himmel,
00:19:16ihr dichter Schatten war kühl und unheimlich.
00:19:19Doch Enkidu,
00:19:21dessen Erinnerungen an die Schrecken des Waldes erwachten,
00:19:24wurde erneut von lähmender Furcht ergriffen.
00:19:27Seine Hand,
00:19:28die sonst so fest die Axt umklammerte,
00:19:30erstarrte.
00:19:32Gilgamesch spürte die Angst seines Freundes
00:19:35und sprach ihm mit fester Stimme Mut zu.
00:19:38Freund meines Herzens,
00:19:40fürchte dich nicht vor dem, was kommt.
00:19:43Zwei sind wir,
00:19:45unbesiegbar in unserer Einheit.
00:19:48Wir können nicht scheitern,
00:19:49wenn wir zusammenhalten.
00:19:51Sie drangen tiefer und tiefer
00:19:54in den düsteren Wald ein,
00:19:56Schritt für Schritt
00:19:58auf dem knisternden Laub.
00:20:01Bald hörten sie das markerschütternde Brüllen Humbabas,
00:20:06ein Laut so gewaltig,
00:20:07dass die Erde unter ihren Füßen erbebte
00:20:10und die Blätter von den Bäumen fielen.
00:20:12Schamasch,
00:20:14der Sonnengott,
00:20:15der ihre Gebete erhört hatte,
00:20:18sandte ihnen mächtige,
00:20:19günstige Winde entgegen.
00:20:21Insgesamt dreizehn an der Zahl,
00:20:24um Humbaba zu verwirren,
00:20:26ihn zu blenden
00:20:26und seiner Bewegungen einzuschränken.
00:20:30Es kam zum entscheidenden Kampf.
00:20:32Humbaba,
00:20:33dessen sieben Schreckensmäntel
00:20:35ihn wie eine uneinnehmbare Festung schützten,
00:20:37war ein furchtbarer,
00:20:40unvorstellbarer Gegner.
00:20:41Seine Klauen waren scharf wie Obsidian,
00:20:44seine Zähne wie Speerspitzen.
00:20:47Doch Gilgamesch und Enkidu
00:20:48kämpften mit dem Mut der Verzweiflung,
00:20:51ihre Herzen brannten vor Entschlossenheit.
00:20:54Mit der entscheidenden Hilfe von Schamasch,
00:20:56dessen dreizehn Winde Humbaba
00:20:58von allen Seiten attackierten,
00:21:01ihn umzingelten und festhielten,
00:21:04gelang es den beiden Helden schließlich,
00:21:06das Ungeheuer zu überwältigen
00:21:08und zu Boden zu zwingen.
00:21:10Humbaba,
00:21:12besiegt und seiner Macht beraubt,
00:21:14flehte mit jämmerlicher Stimme um sein Leben,
00:21:17bot Gilgamesch an,
00:21:18sein gehorsamer Diener zu sein
00:21:20und ihm alle kostbaren Zedern
00:21:22des heiligen Waldes zu überlassen.
00:21:24Gilgamesch,
00:21:25dessen Herz nicht aus Stein war,
00:21:28war geneigt,
00:21:29Gnade walten zu lassen.
00:21:31Doch Enkidu,
00:21:33dessen Hass auf den Tyrannen des Waldes tief saß,
00:21:36warnte ihn eindringlich,
00:21:39glaube seinen lügnerischen Worten nicht,
00:21:41mein König,
00:21:43töte ihn,
00:21:44bevor er sich befreit
00:21:45und uns beide
00:21:47mit seiner wiedererlangten Kraft
00:21:50vernichtet.
00:21:51Sie zögerten nicht länger
00:21:53und schlugen Humbaba den Kopf ab.
00:21:56Die Erde bebte erneut,
00:21:58als der Wächter des Waldes fiel.
00:22:01Sie fällten die höchsten und prächtigsten Zedern,
00:22:05um ein mächtiges,
00:22:06kunstvoll verziertes Tor
00:22:08für den Tempel
00:22:10Enlilz,
00:22:11in der heiligen Stadt Nippur zu fertigen.
00:22:14Sie bauten ein stabiles Floß
00:22:16aus Zedernstämmen
00:22:17und kehrten auf dem Euphrat
00:22:19triumphierend nach Uruk zurück,
00:22:22Humbabas schreckliches Haupt
00:22:24als Trophäe mit sich führend.
00:22:27Der Ruhm von Gilgamesch,
00:22:30der nun Humbaba besiegt hatte,
00:22:32erreichte nun auch die Ohren
00:22:34der mächtigen Göttin Ishtar,
00:22:36der Herrin von Uruk,
00:22:38der Göttin der sinnlichen Liebe
00:22:40und des blutigen Krieges.
00:22:43Sie erblickte Gilgamesch
00:22:44in seiner ganzen jugendlichen Pracht,
00:22:47als er sich nach dem anstrengenden Kampf
00:22:50in Fluss wusch
00:22:51und sich mit königlichen Gewändern kleidete.
00:22:55Sein göttlicher Glanz war überwältigend,
00:22:58seine Schönheit raubte ihr den Atem.
00:23:01Ishtar begehrte ihn auf der Stelle
00:23:03und sprach mit verführerischer Stimme zu ihm,
00:23:05Komm, o strahlender Gilgamesch,
00:23:09sei mein Geliebter, mein Gemahl,
00:23:12schenke mir deine Frucht,
00:23:13deine männliche Kraft.
00:23:15Ich will dir einen prächtigen Wagen
00:23:18aus Lapis Lazuli
00:23:19und purem Gold geben,
00:23:22mit goldenen Rädern und Hörnern
00:23:24aus Bernstein.
00:23:25Mächtige Sturmdämonen
00:23:27sollen deine Maultiere sein,
00:23:29die dich schneller als der Wind tragen.
00:23:32Du sollst in einem Palast
00:23:34aus duftendem Zedernholz wohnen,
00:23:37und Könige, Fürsten und Herrscher
00:23:40aus allen Landen
00:23:41sollen sich vor dir in den Staub beugen
00:23:43und deine königlichen Füße küssen.
00:23:46Doch Gilgamesch,
00:23:48der die Geschichten kannte,
00:23:50kannte Ishtars wankelmütige,
00:23:53grausame Natur
00:23:54und die tragischen Schicksale
00:23:56ihrer zahlreichen früheren Liebhaber.
00:24:00Er wies sie stolz und unerschrocken zurück
00:24:03und zählte ihr mit spöttischen Worten
00:24:05all jene auf,
00:24:06die sie einst geliebt
00:24:07und dann ohne Reue ins Verderben
00:24:10oder in schreckliche Verwandlungen
00:24:12gestürzt hatte,
00:24:14Tammuz,
00:24:15den jungen Hirten,
00:24:16ihren ersten Gemahl,
00:24:18den sie zu ewiger Klage
00:24:19und zum jährlichen Abstieg
00:24:21in die Unterwelt verdammt hatte,
00:24:23den farbenprächtigen Alalufvogel,
00:24:26dem sie die bunten Flügel gebrochen
00:24:28und sein Lied verstummen lassen hatte,
00:24:31den Löwen von vollkommener
00:24:32unbesiegbarer Kraft,
00:24:34für den sie sieben
00:24:35und abermals sieben
00:24:37heimtückische Gruben gegraben hatte,
00:24:39bis er hineinfiel,
00:24:40das stolze Schlachtross,
00:24:43das sie mit Sporen,
00:24:45Peitsche
00:24:45und einem endlosen Lauf
00:24:47von sieben Doppellängen
00:24:48bis zur völligen Erschöpfung
00:24:50gequält hatte,
00:24:51den treuen Hirten,
00:24:53der ihr täglich Opfer darbrachte,
00:24:55den sie kaltblütig
00:24:56in einen Wolf verwandelt hatte,
00:24:58so dass seine eigenen Hunde
00:25:00ihn jagten
00:25:01und bissen,
00:25:02Ischulanu,
00:25:04den Gärtner
00:25:04ihres göttlichen Vaters Anu,
00:25:07der ihre Liebesgaben
00:25:08aus Treue zu seinem Herrn verweigerte
00:25:11und den sie zur Strafe
00:25:12in eine Spinne,
00:25:14die in Netz kauert
00:25:15oder einen blinden Maulwurf
00:25:17verwandelt hatte.
00:25:18Und wenn du mich nun liebst,
00:25:20o große Göttin,
00:25:22schloss Gilgamesch
00:25:23seine Rede kühn,
00:25:25wirst du mich am Ende
00:25:26ebenso behandeln
00:25:27wie all diese Unglücklichen.
00:25:30Ischta erbebte
00:25:32vor maßlosem Zorn
00:25:34und tiefer Scham
00:25:35über diese öffentliche Zurückweisung
00:25:38und die Entlarvung ihrer Taten.
00:25:41Sie stieg mit rasender Geschwindigkeit hinauf
00:25:45in den höchsten Himmel
00:25:47zu ihrem Vater Anu
00:25:49und ihrer Mutter Antu.
00:25:52Sie weinte bittere Tränen der Wut
00:25:54und forderte mit lauter Stimme,
00:25:57Vater, erschaffe für mich
00:25:59den Himmelsstier.
00:26:01Lass ihn auf die Erde niederfahren,
00:26:03um diesen frechen Gilgamesch
00:26:06zu vernichten,
00:26:07der mich so schwer beleidigt
00:26:09und meine geheimsten Affären
00:26:11vor aller Welt preisgegeben hat.
00:26:14Wenn du mir den Himmelsstier
00:26:16nicht gibst,
00:26:17so schwöre ich werde ich
00:26:19die Tore
00:26:19der dunklen Unterwelt einschlagen,
00:26:22die Riegel sprengen
00:26:24und die Toten
00:26:25aus ihren Gräbern heraufholen,
00:26:27damit sie die Lebenden
00:26:28auf Erden fressen,
00:26:30und die Zahl der Toten
00:26:32wird die der Lebenden
00:26:33bei weitem übersteigen.
00:26:35Anu zögerte lange,
00:26:37denn er wusste,
00:26:38der unbezwingbare Himmelsstier
00:26:40würde sieben Jahre
00:26:41der schrecklichen Dürre
00:26:43und bitteren Hungersnot
00:26:44über das Land
00:26:45und die Stadt Uruk bringen.
00:26:48Doch Ishtar,
00:26:49in ihrem Zorn unbeugsam,
00:26:52versicherte ihm listig,
00:26:53sie habe bereits Korn
00:26:55für die Menschen
00:26:56und Gras
00:26:57für das Vieh
00:26:58für diese sieben
00:26:59mageren Jahre
00:27:00in den Speichern
00:27:01angesammelt.
00:27:03So gab Anu
00:27:04schließlich schweren
00:27:05Herzens nach
00:27:06und übergab ihr
00:27:07den Himmelsstier.
00:27:09Ishtar,
00:27:10triumphierend,
00:27:11führte den
00:27:12gewaltigen Himmelsstier
00:27:14zur Erde hinab.
00:27:16Mit seinem ersten
00:27:16furchterregenden Schnauben
00:27:18öffnete sich
00:27:19ein gewaltiger Abgrund
00:27:20in der Erde
00:27:21von Uruk
00:27:22und einhundert junge Männer
00:27:24der Stadt
00:27:24stürzten schreiend
00:27:25hinein
00:27:26und fanden den Tod.
00:27:29Mit seinem zweiten,
00:27:30ohrenbetäubenden Schnauben
00:27:32öffnete sich
00:27:33ein weiterer,
00:27:34noch tieferer Abgrund
00:27:36und zweihundert
00:27:37tapfere junge Männer
00:27:38stürzten hinein
00:27:40in die Finsternis.
00:27:42Mit seinem dritten,
00:27:43gewaltigen Schnauben
00:27:44stürzte Enkidu
00:27:45beinahe selbst
00:27:46in den Abgrund,
00:27:47doch er sprang
00:27:48in letzten Augenblick
00:27:49mit großer Gewandtheit
00:27:51beiseite
00:27:51und packte den Stier
00:27:53bei seinen mächtigen Hörnern.
00:27:55Enkidu rief Gilgamesch
00:27:57laut zu Hilfe.
00:27:58Gemeinsam,
00:27:59ihre Kräfte vereint,
00:28:00kämpften die beiden Freunde
00:28:01gegen das himmlische Ungetüm.
00:28:04Enkidu,
00:28:06wendig und stark,
00:28:08umkreiste den Stier,
00:28:10wich seinen Attacken aus
00:28:11und packte ihn schließlich
00:28:12am Schwanz,
00:28:13um ihn abzulenken.
00:28:14Gilgamesch,
00:28:16handelnd wie ein geübter Schlachter,
00:28:19präzise und tödlich,
00:28:21stieß sein scharfes Schwert
00:28:23tief zwischen Nacken,
00:28:25Hörner und Genick des Stieres
00:28:27und tötete ihn
00:28:28mit einem einzigen gezielten Stoß.
00:28:31Sie rissen ihm
00:28:32das noch zuckende Herz heraus
00:28:34und opferten es ehrfurchtsvoll
00:28:36dem Sonnengott Shamash
00:28:38als Dank für seine Hilfe.
00:28:40Ishtar aber stieg
00:28:41auf die hohen Mauern von Uruk.
00:28:43Ihr Gesicht von Wut
00:28:45und Trauer verzerrt,
00:28:47stieß eine herzzerreißende
00:28:48Wehklage aus
00:28:49und verfluchte Gilgamesch
00:28:51für die Tötung
00:28:52ihres heiligen Stieres.
00:28:54Enkidu,
00:28:55in Zorn über ihre
00:28:56bußhaften Worte
00:28:57und um seinen Freund
00:28:59zu verteidigen,
00:29:01riss die rechte Keule
00:29:02des toten Stieres ab
00:29:03und warf sie ihr
00:29:05verächtlich ins Gesicht.
00:29:07Wenn ich dich zu fassen bekäme,
00:29:09du Hexe,
00:29:11rief er ihr zornig zu,
00:29:12würde ich es mit dir
00:29:14ebenso machen
00:29:15und dich in Stücke reißen.
00:29:17Nach diesem neuerlichen Sieg,
00:29:20der ihren Ruhm weiter festigte,
00:29:22feierten Gilgamesch
00:29:23und Enkidu ausgelassen.
00:29:25Doch die Götter in Himmel,
00:29:27allen voran Enlil,
00:29:29waren zutiefst erzürnt
00:29:30über diese Freveltaten.
00:29:32Anu, Enlil
00:29:34und der weise Shamash
00:29:35versammelten sich zum Rat.
00:29:37Enlil,
00:29:38der Herr des Schicksals,
00:29:40sprach mit Donnerstimme,
00:29:42weil sie den heiligen
00:29:43Himmelsstier getötet
00:29:44und Humbaba,
00:29:46den von mir eingesetzten Wächter,
00:29:48erschlagen haben,
00:29:50muss einer von ihnen sterben
00:29:52als Sühne für diese Untaten.
00:29:55Shamash versuchte noch,
00:29:56sie zu verteidigen
00:29:57und argumentierte,
00:29:59sie hätten zumindest bei Humbaba
00:30:01auf seinen göttlichen Befehl gehandelt.
00:30:04Doch Enlil blieb unerbittlich
00:30:05in seinem Zorn.
00:30:06Die bittere Wahl der Götter
00:30:08fiel auf Enkidu,
00:30:10denn er war es,
00:30:11der die heiligen Zedern
00:30:12in Wald gefällt
00:30:13und die Göttin Ishtar
00:30:14so schwer verhöhnt hatte.
00:30:16Kurz darauf wurde Enkidu
00:30:18von einer schrecklichen,
00:30:19unheilbaren Krankheit befallen.
00:30:22Er lag da nieder,
00:30:23sein starker Körper
00:30:24wurde von unsäglichen Schmerzen gequält.
00:30:27Er verfluchte in seiner Agonie
00:30:29den unglückseligen Fallensteller,
00:30:32der ihn einst
00:30:33aus der friedlichen Steppe geholt hatte
00:30:35und er verfluchte Shamhat,
00:30:38die Kortisane,
00:30:39die ihn zivilisiert
00:30:41und in diese Welt
00:30:42der Intrigen
00:30:43und des Leids geführt hatte.
00:30:46Doch Shamash,
00:30:47der Sonnengott,
00:30:48tadelte ihn sanft
00:30:49aus dem Himmel.
00:30:51Warum verfluchst du
00:30:53die arme Shamhat,
00:30:55Enkidu?
00:30:56Sie hat dich mit Brot gespeist,
00:30:58das den Göttern
00:30:59selbstwürdig ist.
00:31:01Sie hat dir edlen Wein
00:31:02zu trinken gegeben,
00:31:04der den Königen
00:31:04dieser Erde würdig ist.
00:31:07Sie hat dich mit prächtigen,
00:31:08königlichen Gewändern gekleidet
00:31:10und dir den edlen Gilgamesch
00:31:13zum Gefährten und Bruder gegeben.
00:31:15Enkidus Herz,
00:31:17gerührt von diesen Worten,
00:31:18wurde weicher.
00:31:20Er wieder rief seine Flüche
00:31:21und segnete Shamhat
00:31:23für ihre Güte.
00:31:25Zwölf lange Tage
00:31:26und nächtelang
00:31:27lag Enkidu krank
00:31:28und fiebrig dann nieder.
00:31:30Er erzählte Gilgamesch
00:31:32von einem schrecklichen,
00:31:34prophetischen Traum,
00:31:35den er gehabt hatte.
00:31:37Die Götter hatten ihn
00:31:38zu den Toten
00:31:39in die Unterwelt gerufen.
00:31:41Er sah das Haus des Staubes,
00:31:43das finstere,
00:31:44reich Ereshkigals,
00:31:46wo die Toten
00:31:47in ewiger Finsternis leben,
00:31:49Lehm als Nahrung essend,
00:31:52mit Federn bekleidet
00:31:53wie unglückselige Vögel.
00:31:55Dort sah er Könige
00:31:57und Herrscher,
00:31:59die zu einfachen
00:32:00Dienern geworden waren
00:32:01und stolze Priester,
00:32:03die niedere,
00:32:04schmutzige Arbeiten
00:32:05verrichten mussten.
00:32:07Er sah die furchterregende
00:32:08Königin der Unterwelt,
00:32:10Ereshkigal,
00:32:12auf ihrem Thron aus Knochen
00:32:13und vor ihr saß Belitseri,
00:32:17die Schreiberin der Unterwelt,
00:32:19die mit unbewegter Miene
00:32:21die Schicksale der Verstorbenen
00:32:22auf einer Tafel verlas.
00:32:24Dann,
00:32:25nach diesen qualvollen Tagen,
00:32:27starb Enkidu,
00:32:29der Freund und Bruder
00:32:30von Gilgamesch.
00:32:31Gilgameschs Trauer
00:32:33war grenzenlos,
00:32:34ein Ozean des Schmerzes,
00:32:36der ihn zu verschlingen drohte.
00:32:38Er weinte und klagte
00:32:39um seinen Freund
00:32:40wie eine Löwin,
00:32:42der man ihre Jungen geraubt hat.
00:32:44Er bedeckte Enkidus
00:32:46lebloses Gesicht
00:32:47mit einem kostbaren Schleier,
00:32:50so wie man das Antlitz
00:32:51einer Braut bedeckt.
00:32:53Er schrie seine Verzweiflung
00:32:55in die stumme Nacht hinaus.
00:32:57Er rief die besten Handwerker
00:32:58von Uruk zusammen
00:32:59und ließ eine prächtige,
00:33:01lebensgroße Statue
00:33:02für Enkidu anfertigen,
00:33:04aus purem Gold
00:33:05und glänzendem Lapislazuli,
00:33:08damit sein Andenken
00:33:09ewig wäre.
00:33:10Sechs Tage
00:33:11und sieben Nächte lang
00:33:13trauerte er
00:33:14an der Seite
00:33:15seines toten Freundes,
00:33:17weigerte sich,
00:33:18ihn der Erde zu übergeben,
00:33:19bis eine kleine Made
00:33:21aus Enkidus' Nase kroch,
00:33:24ein unmissverständliches
00:33:25Zeichen der Vergänglichkeit,
00:33:28da erst mit zerbrochenem Herzen
00:33:30erlaubte er,
00:33:31seinen geliebten Freund
00:33:32zu begraben.
00:33:34Mit Enkidus' unwiderruflichem Tod
00:33:36aber erfasste Gilgamesch
00:33:38eine neue, tiefere
00:33:40und existenzielle Furcht.
00:33:42Die unbezwingbare Furcht
00:33:44vor dem eigenen Sterben
00:33:45muss auch ich sterben,
00:33:47fragte er sich immer wieder.
00:33:49Werde auch ich
00:33:50wie mein Freund Enkidu
00:33:52zu Staub zerfallen?
00:33:53Die eisige Angst vor dem Tod
00:33:55ist in meinen Leib gefahren,
00:33:57hat mein Herz ergriffen.
00:34:00Er fasste den verzweifelten Entschluß,
00:34:03sich auf die gefährliche Suche
00:34:04nach Utnapishtim zu machen,
00:34:07dem Fernen,
00:34:08dem Weisen,
00:34:10dem einzigen Menschen,
00:34:12dem die Götter
00:34:13nach der großen Flut
00:34:14und Sterblichkeit
00:34:15verliehen hatten.
00:34:16Gilgamesch
00:34:17wollte von ihm
00:34:18das letzte Geheimnis erfahren,
00:34:21das Geheimnis
00:34:21des ewigen Lebens.
00:34:23Er legte seine
00:34:25königlichen Gewänder ab,
00:34:26zog einfache Trauerkleider an,
00:34:29kleidete sich symbolisch
00:34:30in Löwenfelle,
00:34:31um seine Stärke
00:34:32und seinen Schmerz zu zeigen,
00:34:34und wanderte hinaus
00:34:35in die Weite,
00:34:36gefährliche Steppe,
00:34:37ein einsamer Sucher.
00:34:39Seine Reise war
00:34:40unendlich lang
00:34:41und voller
00:34:42unbeschreiblicher Gefahren
00:34:43und Entbehrungen.
00:34:45Er erreichte schließlich
00:34:46den mythischen Berg
00:34:48Maschu,
00:34:49dessen gewaltige
00:34:50Zwillingsgipfel
00:34:51den Himmel zu stützen schienen
00:34:52und dessen geheime Passagen
00:34:54von furchterregenden
00:34:56Skorpionmenschen
00:34:57bewacht wurden,
00:34:58Wesen halb Mensch,
00:35:00halb riesiger Skorpion,
00:35:03deren bloßer Blick
00:35:04den sicheren Tod bedeutete.
00:35:06Doch als sie Gilgamesch sahen,
00:35:08seine göttliche Abstammung
00:35:10in seinen Augen erkennend
00:35:11und seine tiefe,
00:35:13ehrliche Verzweiflung
00:35:14spürend,
00:35:15ließen sie ihn
00:35:16voller Respekt passieren.
00:35:18Sie warnten ihn jedoch
00:35:20eindringlich vor dem Weg
00:35:21durch das Innere des Berges.
00:35:24Zwölf Doppelstunden
00:35:25völliger,
00:35:26undurchdringlicher Dunkelheit,
00:35:29ohne auch nur
00:35:30den schwächsten Lichtstrahl.
00:35:32Gilgamesch,
00:35:33unerschrocken
00:35:34und getrieben
00:35:35von seiner Hoffnung,
00:35:36trat ein in die klaffende
00:35:38Finsternis des Bergpasses.
00:35:41Er wanderte Stunde um Stunde,
00:35:43allein mit seinen Gedanken
00:35:44und seiner Angst.
00:35:47Dichte, erdrückende Dunkelheit
00:35:48umfing ihn von allen Seiten.
00:35:51Nach neun Doppelstunden
00:35:53spürte er einen ersten
00:35:55leichten Windhauch
00:35:56auf seiner Haut.
00:35:57Nach zehn Doppelstunden
00:35:59war die Finsternis
00:36:00noch immer undurchdringlich
00:36:02und bedrohlich.
00:36:03Nach elf Doppelstunden
00:36:05begann es allmählich zu dämmern,
00:36:07ein fernes Schimmern
00:36:08kündete das Ende
00:36:09der Dunkelheit an.
00:36:11Nach vollen zwölf Doppelstunden
00:36:13trat er hinaus
00:36:14ans helle Licht
00:36:14und fand sich
00:36:16in einem wundervollen
00:36:17paradiesischen Garten wieder,
00:36:19dessen Bäume
00:36:20anstelle von Früchten
00:36:21kostbare Edelsteine trugen,
00:36:24leuchtender Carneol,
00:36:26tiefblauer Lapislazuli
00:36:27und unzählige andere Juwelen
00:36:30funkelten
00:36:31und blitzten
00:36:32an den Zweigen
00:36:33in Sonnenlicht.
00:36:34Am Rande des Meeres
00:36:36des Todes,
00:36:37dessen Wasser
00:36:38kein Leben
00:36:39der ungestraft berühren
00:36:40durfte,
00:36:41traf er sie Duri,
00:36:43die göttliche Schankwirtin,
00:36:44die in einem
00:36:45abgeschiedenen,
00:36:46verschleierten Haus
00:36:47am Ufer lebte.
00:36:49Als sie Gilgamesch erblickte,
00:36:50zerlummt,
00:36:51abgemagert
00:36:52und von tiefem Kummer
00:36:54gezeichnet,
00:36:55erschrak sie
00:36:56vor seinem Anblick
00:36:57und verriegelte
00:36:58eilig ihre Tür.
00:37:01Gilgamesch,
00:37:02verzweifelt,
00:37:04drohte die Tür
00:37:05mit seiner gewaltigen
00:37:06Kraft einzuschlagen.
00:37:08Er erzählte ihr
00:37:09mit tränenerstickter Stimme
00:37:11von seinem
00:37:11unermesslichen Schmerz
00:37:13um den Verlust
00:37:14Enkidus
00:37:15und von seiner
00:37:16verzweifelten,
00:37:17fast aussichtslosen
00:37:19Suche nach
00:37:19Utnapishtim
00:37:20und dem ewigen Leben.
00:37:23Siduri,
00:37:24versuchte mit sanften,
00:37:26weisen Worten,
00:37:27ihn von seinem
00:37:28aussichtslosen
00:37:29Vorhaben abzubringen.
00:37:32Gilgamesch,
00:37:34o König,
00:37:35wohin erst du
00:37:36so getrieben?
00:37:37Das Leben,
00:37:39das unvergängliche Leben,
00:37:41das du so fieberhaft suchst,
00:37:43wirst du niemals finden.
00:37:45Denn als die Götter
00:37:46die Menschen erschufen,
00:37:48bestimmten sie den Tod
00:37:49für die Menschheit
00:37:50als unabänderliches Los.
00:37:52Das ewige Leben
00:37:53aber behielten sie
00:37:55eifersüchtig
00:37:56für sich allein.
00:37:57Iss und trink,
00:37:59Gilgamesch,
00:38:00fülle deine Tage
00:38:01mit Freude,
00:38:03sei fröhlich
00:38:04Tag und Nacht,
00:38:05kleide dich
00:38:06in reine,
00:38:07festliche Gewänder,
00:38:09wasche dein Haupt,
00:38:10bade dich
00:38:11in klarem Wasser.
00:38:13Erfreue dich
00:38:14an dem Kind,
00:38:15das deine Hand
00:38:16liebevoll hält,
00:38:17und lass deine Frau
00:38:18sich an deinem
00:38:19starken Busen
00:38:20erfreuen
00:38:21und Geborgenheit finden.
00:38:23Das,
00:38:24o Gilgamesch,
00:38:26ist die wahre Bestimmung
00:38:27und das Glück
00:38:28der Menschen.
00:38:29Doch Gilgamesch,
00:38:30dessen Herz von Trauer
00:38:32und Todesangst
00:38:33verzehrt war,
00:38:34ließ sich nicht
00:38:35von seinem Weg
00:38:36abbringen.
00:38:36Siduri,
00:38:39seine Entschlossenheit
00:38:40sehend,
00:38:41wies ihn schließlich
00:38:42an Ur,
00:38:43Shanabi,
00:38:44den mürrischen
00:38:45Fährmann
00:38:46des Utnapishtim,
00:38:47den einzigen,
00:38:48der die gefährlichen
00:38:49Wasser des Todes
00:38:51überqueren konnte,
00:38:53sie warnte ihn
00:38:54eindringlich,
00:38:55die Steinernen
00:38:56nicht zu berühren
00:38:57oder zu beschädigen,
00:39:00jene geheimnisvollen
00:39:01Wesen
00:39:02oder magischen Objekte,
00:39:04die für die sichere
00:39:06Überfahrt
00:39:06über die tödlichen
00:39:07Wasser notwendig waren.
00:39:10Gilgamesch jedoch,
00:39:11in seiner Ungeduld,
00:39:13seiner Verwirrung
00:39:14und seiner ungestümen Art,
00:39:16zerschlug die Steinernen
00:39:18mit seiner mächtigen Axt,
00:39:20ohne über die Konsequenzen
00:39:21nachzudenken.
00:39:23Als er Ur,
00:39:24Shanabi,
00:39:25fand,
00:39:25musste er auf dessen
00:39:26zornige Anweisung
00:39:28hin dreihundertundsechzig
00:39:29lange Stangen schneiden,
00:39:31jede sechzig Ellen lang,
00:39:33um das Boot
00:39:34mit reiner Muskelkraft
00:39:35über die Wasser
00:39:36des Todes zu stoßen,
00:39:38denn nun,
00:39:39da die Steinernen
00:39:40zerstört waren,
00:39:42konnte er die Strömung
00:39:43nicht mehr mit ihrer Hilfe
00:39:44meistern
00:39:45und durfte unter
00:39:46keinen Umständen
00:39:47das tödliche Wasser
00:39:48mit seinen bloßen Händen
00:39:50berühren.
00:39:51Jede Stange
00:39:52konnte nur ein einziges Mal
00:39:54benutzt werden,
00:39:55bevor sie ihre Kraft verlor.
00:39:57Nach einer langen,
00:39:58mühsamen
00:39:59und nervenaufreibenden
00:40:00Überfahrt
00:40:01erreichten sie schließlich
00:40:02die ferne,
00:40:03nebelverhangene Insel,
00:40:05auf der
00:40:06Udnapishtim
00:40:07und seine ebenfalls
00:40:08unsterbliche Frau
00:40:09in Frieden
00:40:10und Abgeschiedenheit
00:40:11lebten.
00:40:12Gilgamesch,
00:40:13erschöpft,
00:40:14aber hoffnungsvoll,
00:40:15trat vor Udnapishtim
00:40:17und erzählte ihm
00:40:18seine ganze lange Geschichte,
00:40:20den Verlust
00:40:21seines geliebten
00:40:22Freundes
00:40:22Enkidu,
00:40:23seine tiefe Trauer,
00:40:25seine unbändige
00:40:26Todesangst
00:40:27und seine verzweifelte
00:40:29Suche nach der
00:40:30Unsterblichkeit.
00:40:32Er fragte
00:40:32Udnapishtim
00:40:33schließlich direkt,
00:40:35wie dieser
00:40:35das ewige Leben
00:40:37erlangt habe,
00:40:38welches Geheimnis
00:40:39dahinter stecke.
00:40:41Udnapishtim,
00:40:42der Weise,
00:40:43der die Flut
00:40:44überlebt hatte,
00:40:46blickte Gilgamesch
00:40:47lange
00:40:47und prüfend an.
00:40:49Dann beschloss er,
00:40:51ihm das große
00:40:51Geheimnis
00:40:52der Götter
00:40:52zu enthüllen,
00:40:54die wahre Geschichte
00:40:55der großen Flut.
00:40:57Einst,
00:40:58vor unzähligen
00:40:59Menschenaltern,
00:41:01begann er mit
00:41:02ruhiger Stimme,
00:41:04lebten die Götter
00:41:05in der blühenden
00:41:06Stadt
00:41:06Schurupag
00:41:07am Ufer
00:41:08des mächtigen
00:41:08Euphrat.
00:41:10Doch die Menschen
00:41:11auf der Erde
00:41:11wurden zu zahlreich,
00:41:13und ihr Lärm,
00:41:15ihr Geschrei
00:41:16und ihr Treiben
00:41:17wurden zu laut.
00:41:19Ihr Lärm
00:41:20störte Enlil,
00:41:22den Herrn
00:41:22der Götter,
00:41:24den König
00:41:24des Landes
00:41:25in seiner
00:41:26himmlischen Ruhe.
00:41:28So beschlossen
00:41:29die großen Götter
00:41:30in ihrem Rat,
00:41:32die gesamte
00:41:32Menschheit
00:41:33durch eine
00:41:34gewaltige,
00:41:35alles vernichtende
00:41:36Flut
00:41:37auszurotten.
00:41:38Er jedoch,
00:41:39der kluge Gott
00:41:40der Weisheit
00:41:41und des Wassers,
00:41:43der einen
00:41:43heiligen Eid
00:41:44geschworen hatte,
00:41:46die geheimen
00:41:46Pläne der Götter
00:41:47nicht direkt
00:41:48an einen Menschen
00:41:49zu verraten,
00:41:51sprach listig
00:41:52zu einer Schilfhütte,
00:41:54nicht zu mir
00:41:55direkt,
00:41:56und warnte mich
00:41:57so indirekt,
00:41:59Schilfhütte,
00:42:00Schilfhütte,
00:42:02Wand,
00:42:03Wand,
00:42:04O Mann von
00:42:05Schurupak,
00:42:06Sohn des
00:42:06Ubatutu,
00:42:07höre meine Worte,
00:42:09reiß dein Haus ab,
00:42:10baue ein Schiff
00:42:11von gewaltigen
00:42:11Ausmaßen,
00:42:13gib all
00:42:13deinen weltlichen
00:42:15Besitz auf,
00:42:16suche stattdessen
00:42:18das nackte Leben,
00:42:20verachte
00:42:21alle vergänglichen
00:42:22Güter,
00:42:23halte deine Seele
00:42:24und die deiner Lieben
00:42:25am Leben,
00:42:27nimm an Bord
00:42:28dieses Schiffes
00:42:29den Samen
00:42:30allen Lebens
00:42:31auf Erden.
00:42:33Ich,
00:42:34Utnapishtim,
00:42:35verstand die
00:42:36versteckte Warnung,
00:42:38ich fragte
00:42:39Ea,
00:42:39was ich den
00:42:40Ältesten
00:42:41und dem Volk
00:42:42meiner Stadt
00:42:42sagen sollte,
00:42:44um mein
00:42:44seltsames Tun
00:42:45zu erklären.
00:42:46Ea riet mir
00:42:48zu verkünden,
00:42:49der Gott
00:42:50Enlil sei mir,
00:42:51Utnapishtim,
00:42:53feindlich gesinnt,
00:42:55und ich müsse daher
00:42:55die Stadt verlassen
00:42:56und zu Ea,
00:42:58meinem Herrn
00:42:58und Beschützer,
00:42:59in den Abgrund
00:43:00des Wassers,
00:43:02den Abzu,
00:43:03hinabsteigen.
00:43:05Ea,
00:43:05Ea,
00:43:07würde dann
00:43:07unermesslichen
00:43:08Reichtum,
00:43:10Fische
00:43:10und Vögel,
00:43:12in Hülle
00:43:12und Fülle,
00:43:13über die Stadt
00:43:14Schurupak
00:43:15regnen lassen,
00:43:16um sie für
00:43:17meinen Verlust
00:43:18zu entschädigen.
00:43:19So täuschte ich
00:43:20die Leute
00:43:21meiner Stadt.
00:43:22Ich baute
00:43:23das Schiff
00:43:23nach den genauen
00:43:24Vorgaben
00:43:25Is,
00:43:26seine Länge
00:43:27und seine Breite
00:43:28waren gleich,
00:43:29ein perfektes Quadrat,
00:43:31sein Deck
00:43:31war überdacht
00:43:32wie das des
00:43:33Absu,
00:43:34des unterirdischen
00:43:35Süßwasserozeans.
00:43:37In nur sieben Tagen
00:43:39war das
00:43:40gewaltige Schiff
00:43:41fertiggestellt.
00:43:42Ich lud meine
00:43:43gesamte Familie,
00:43:45meine nahen
00:43:45und fernen Verwandten,
00:43:47die besten Handwerker
00:43:48der Stadt,
00:43:49das zahme Vieh
00:43:50der Felder
00:43:50und das scheue
00:43:51Wild der Steppe
00:43:52sowie den Samen
00:43:53allen pflanzlichen
00:43:54Lebens an Bord.
00:43:56Ich versiegelte
00:43:57die Tür des Schiffes
00:43:58sorgfältig mit
00:43:59heißem Pech
00:43:59und zähem Asphalt.
00:44:02Als der von den
00:44:03Göttern festgesetzte
00:44:04Zeitpunkt gekommen war,
00:44:06sandte
00:44:07Schamash,
00:44:08der Sonnengott,
00:44:09einen schrecklichen,
00:44:11unaufhörlichen Regen.
00:44:13Ein gewaltiger Sturm
00:44:14brach los,
00:44:16so furchtbar
00:44:17und zerstörerisch,
00:44:18dass selbst die Götter
00:44:19in Himmel
00:44:20vor seiner entfesselten
00:44:21Gewalt erschraken
00:44:22und bis in den
00:44:23höchsten Himmel
00:44:24des Anu flohen,
00:44:26wo sie sich zitternd
00:44:27wie verängstigte Hunde
00:44:29aneinander kauerten.
00:44:31Sechs Tage
00:44:31und sieben
00:44:32endlose Nächte
00:44:33wüteten Wind,
00:44:35Regen
00:44:35und die
00:44:36unbarmherzige Flut.
00:44:38Am siebten Tag
00:44:39endlich
00:44:39legte sich
00:44:40der Sturm,
00:44:41das Wasser
00:44:42begann langsam
00:44:42zu sinken.
00:44:44Ich öffnete
00:44:45vorsichtig
00:44:45ein Fenster
00:44:46der Arche
00:44:47und das erste
00:44:48Licht
00:44:48fiel auf
00:44:49mein erschöpftes
00:44:50Gesicht.
00:44:51Ich blickte
00:44:52hinaus
00:44:52und sah
00:44:53mit Entsetzen,
00:44:54dass die ganze
00:44:55Menschheit
00:44:55zu Lehm
00:44:56geworden war,
00:44:57eine stille,
00:44:58tote Landschaft.
00:45:00Das weite Land
00:45:01war flach
00:45:01und leer
00:45:02wie ein frisch
00:45:03gewaschenes Dach.
00:45:04Ich fiel auf
00:45:05meine Knie
00:45:06und weinte
00:45:07bittere Tränen
00:45:08um die verlorene Welt.
00:45:10Das Schiff
00:45:10lief schließlich
00:45:11auf dem Gipfel
00:45:12des Berges
00:45:13Nisir auf Grund.
00:45:14Sieben Tage
00:45:15und Nächte lang
00:45:16blieb es dort
00:45:16unbeweglich stecken.
00:45:18Am siebten Tag
00:45:19ließ sich
00:45:20eine Taube frei.
00:45:21Sie flog davon,
00:45:23fand keinen
00:45:23trockenen
00:45:24Ruheplatz
00:45:24in der endlosen
00:45:25Wasserwüste
00:45:26und kehrte
00:45:27erschöpft
00:45:28zum Schiff
00:45:29zurück.
00:45:30Ich ließ
00:45:30eine Schwalbe
00:45:31frei.
00:45:32Auch sie
00:45:33flog davon,
00:45:34fand keinen
00:45:35Halt
00:45:35und kehrte
00:45:36entmutigt
00:45:36zurück.
00:45:37Schließlich
00:45:38ließ sich
00:45:38einen starken
00:45:39Raben
00:45:40frei.
00:45:41Der Rabe
00:45:41flog davon,
00:45:43sah,
00:45:44dass das
00:45:44Wasser
00:45:44bereits deutlich
00:45:45zurückgegangen
00:45:46war.
00:45:47Er fraß
00:45:48von den
00:45:48angeschwemmten
00:45:49Kadavern,
00:45:50kreiste
00:45:50eine Weile
00:45:51am Himmel
00:45:52und kehrte
00:45:53nicht mehr
00:45:53zum Schiff
00:45:54zurück.
00:45:55Da wusste
00:45:56ich,
00:45:56dass die Erde
00:45:56wieder bewohnbar
00:45:57war.
00:45:58Ich ließ
00:45:58alles Menschen
00:45:59und Tiere
00:45:59in die
00:46:00vier Winde
00:46:01hinaus
00:46:01und brachte
00:46:02den Göttern
00:46:02ein großes
00:46:03Dankopfer
00:46:04dar.
00:46:05Ich errichtete
00:46:05sieben und abermals
00:46:07sieben Räuchergefäße
00:46:08auf dem Berggipfel
00:46:09und die Götter,
00:46:11ausgehungert
00:46:12nach Opfern,
00:46:13rochen den süßen,
00:46:14lieblichen Duft
00:46:15und sammelten sich
00:46:17wie durstige Fliegen
00:46:18um das Opferfeuer.
00:46:20Als Enil kam
00:46:21und das Schiff
00:46:22und die Überlebenden
00:46:23sah,
00:46:24wurde er
00:46:25furchtbar
00:46:26zornig,
00:46:27dass ein Mensch
00:46:27die von ihm
00:46:28beschlossene
00:46:29Vernichtung
00:46:30überlebt hatte.
00:46:31Doch er
00:46:32trat vor
00:46:33und besänftigte
00:46:34ihn mit klugen
00:46:35Worten,
00:46:36erklärte,
00:46:37wie er mich
00:46:37auf listige Weise
00:46:38gewarnt hatte,
00:46:40ohne seinen
00:46:40Ei zu brechen.
00:46:42Enil,
00:46:43nun milder
00:46:44gestimmt,
00:46:45trat in das Schiff,
00:46:46nahm meine Hand
00:46:47und die meiner Frau,
00:46:49ließ uns
00:46:49vor ihm
00:46:50niederknien
00:46:51und segnete
00:46:52uns beide.
00:46:53Er sprach
00:46:53die bedeutsamen
00:46:54Worte,
00:46:54früher war
00:46:56Utnapishtim
00:46:57ein sterblicher
00:46:58Mensch,
00:46:59nun aber
00:46:59sollen Utnapishtim
00:47:00und seine Frau
00:47:01uns Göttern
00:47:02gleich sein
00:47:02an Lebensdauer.
00:47:04Utnapishtim
00:47:05soll in weiter
00:47:06Ferne wohnen,
00:47:07an der Mündung
00:47:08der heiligen
00:47:09Ströme,
00:47:10dort wo die
00:47:11Sonne aufgeht.
00:47:12So wurde uns
00:47:13beiden,
00:47:14meiner Frau
00:47:14und mir,
00:47:16die Unsterblichkeit
00:47:17als Geschenk
00:47:18der Götter
00:47:18verliehen.
00:47:20Nachdem Utnapishtim
00:47:21seine erstaunliche
00:47:22Geschichte
00:47:22beendet hatte,
00:47:23blickte er Gilgamesch
00:47:25eindringlich an.
00:47:26Aber für dich,
00:47:28oh Gilgamesch,
00:47:30sagte er mit
00:47:30ernster Miene,
00:47:32wer wird für dich
00:47:33die Götterversammlung
00:47:34einberufen,
00:47:36damit du das
00:47:37ewige Leben
00:47:38findest,
00:47:38das du so
00:47:39verzweifelt suchst?
00:47:41Komm,
00:47:42ich will dir
00:47:43eine Probe
00:47:43auferlegen,
00:47:44um deine
00:47:44Entschlossenheit
00:47:45zu prüfen.
00:47:46Versuche sechs
00:47:47Tage und sieben
00:47:48Nächte lang
00:47:49nicht zu schlafen,
00:47:50wache und sei
00:47:51stark.
00:47:52Kaum hatte
00:47:53Gilgamesch sich
00:47:54hingesetzt,
00:47:55um die Wache
00:47:56zu beginnen,
00:47:57umfing ihn der
00:47:58bleierne Schlaf
00:47:59wie ein dichter,
00:48:01undurchdringlicher
00:48:02Nebel.
00:48:04Utnapishtims
00:48:04Frau sprach leise
00:48:06zu ihrem Mann,
00:48:07sieh diesen starken
00:48:09Helden an,
00:48:10der das Leben
00:48:11ohne Ende
00:48:12sucht.
00:48:13Der Schlaf,
00:48:14der kleine
00:48:15Bruder des Todes,
00:48:16hat ihn mühelos
00:48:17überwältigt,
00:48:19wie ein Nebel.
00:48:19Utnapishtim
00:48:21weise und
00:48:22nachsichtig
00:48:23wies seine
00:48:24Frau an,
00:48:26jeden Tag
00:48:27ein frisches
00:48:27Brot zu backen
00:48:28und es neben
00:48:29Gilgameschs
00:48:30Haupt zu legen
00:48:31und eine
00:48:31Markierung
00:48:32an der Wand
00:48:33des Hauses
00:48:33zu machen
00:48:34für jeden
00:48:35einzelnen Tag,
00:48:36den er schlief.
00:48:37Als Gilgamesch
00:48:38nach vollen
00:48:39sieben Tagen
00:48:40endlich erwachte,
00:48:42behauptete er
00:48:43schlaftrunken,
00:48:44er habe kaum
00:48:45ein Auge
00:48:45zugemacht,
00:48:47vielleicht nur
00:48:47ein kurzes
00:48:48Nickerchen gehalten.
00:48:50Doch Utnapishtim
00:48:51zeigte ihm
00:48:52die Reihe
00:48:52der Brote.
00:48:54Das erste
00:48:54war steinhart
00:48:55und vertrocknet,
00:48:57das zweite
00:48:57war bereits
00:48:58verschimmelt,
00:49:00das dritte
00:49:00war feucht
00:49:01und ungenießbar,
00:49:02das vierte
00:49:03war noch
00:49:03weißlich,
00:49:04aber abgestanden,
00:49:06das fünfte
00:49:07war grau
00:49:07und pelzig,
00:49:09das sechste
00:49:09war noch
00:49:10einigermaßen
00:49:11frisch
00:49:12und das siebte,
00:49:13das von heute
00:49:14lag noch warm
00:49:15auf den heißen
00:49:16Kohlen des Herdes,
00:49:17genau in dem
00:49:18Moment,
00:49:19als er
00:49:19aufwachte.
00:49:21Gilgamesch
00:49:21erkannte mit
00:49:22Scham und
00:49:23Verzweiflung
00:49:23seine schwere
00:49:24Niederlage.
00:49:26Der Tod,
00:49:27dessen kleiner
00:49:27Bruder der
00:49:28Schlaf ist,
00:49:29hatte ihn
00:49:30ohne Mühe
00:49:31besiegt.
00:49:32Verzweifelt
00:49:33und gebrochen
00:49:34fragte Gilgamesch,
00:49:35was soll ich
00:49:36nun tun,
00:49:37o weiser
00:49:38Utnapestimm,
00:49:39wohin soll ich
00:49:40mich wenden?
00:49:41Ein heimtückischer
00:49:42Räuber hat
00:49:43meine Glieder
00:49:44ergriffen.
00:49:44Der Tod,
00:49:46mein Feind,
00:49:48wohnt unsichtbar
00:49:49in meinem
00:49:50Schlafgemach.
00:49:52Wohin ich auch
00:49:52meine Füße
00:49:53setze
00:49:53auf dieser Erde,
00:49:55dort lauert
00:49:56bereits der Tod.
00:49:58Utnapestimm,
00:49:59von Mitleid
00:50:00ergriffen,
00:50:01wies Ur,
00:50:02Shanabi an,
00:50:03Gilgamesch
00:50:04zum Waschplatz
00:50:05zu führen,
00:50:06seine schmutzigen,
00:50:07zerrissenen
00:50:08Tierfälle wegzuwerfen,
00:50:09ihn gründlich
00:50:10zu baden
00:50:11und ihm frische,
00:50:13königliche Kleider
00:50:14zu geben,
00:50:15damit er in Ehren
00:50:16und mit neuer Würde
00:50:18in seine Stadt
00:50:19Uruk
00:50:20zurückkehren könne.
00:50:21Als Gilgamesch
00:50:22und Ur,
00:50:23Shanabi
00:50:24in Begriff waren,
00:50:26die Insel zu verlassen,
00:50:28sprach Utnapestims
00:50:29Frau,
00:50:30mitfühlend
00:50:30zu ihrem Mann,
00:50:32Gilgamesch
00:50:32ist diesen weiten,
00:50:34beschwerlichen Weg
00:50:35hierher gekommen,
00:50:36hat sich unendlich
00:50:37abgemüht
00:50:38und bitterlich
00:50:39geplagt.
00:50:40Was willst du ihm
00:50:41als Geschenk mitgeben,
00:50:43damit er nicht
00:50:43mit leeren Händen
00:50:45in sein Land
00:50:45zurückkehren muss?
00:50:47Da enthüllte
00:50:48Utnapestim
00:50:48Gilgamesch
00:50:49ein letztes,
00:50:50kostbares Geheimnis,
00:50:52ein Geschenk
00:50:53des Mitgefühls.
00:50:55Ich will dir
00:50:55eine verborgene Sache
00:50:57offenbaren,
00:50:58Gilgamesch,
00:50:59ein tiefes Geheimnis
00:51:01der Götter
00:51:01will ich dir sagen.
00:51:03Es gibt eine
00:51:04Pflanze,
00:51:06sie wächst
00:51:07tief unten
00:51:08auf dem Grund
00:51:08des Meeres,
00:51:10stachelig
00:51:11wie ein Dornenstrauch.
00:51:13Ihre scharfen Dornen
00:51:14werden deine Hände
00:51:15sicherlich stechen,
00:51:17wie die einer Rose.
00:51:19Wenn deine Hände
00:51:20diese wundersame
00:51:21Pflanze
00:51:21erreichen
00:51:22und pflücken,
00:51:23wirst du das
00:51:24ewige Leben
00:51:25oder zumindest
00:51:26die ewige Jugend
00:51:27finden.
00:51:28Gilgamesch,
00:51:29dessen Herz
00:51:30erneut von
00:51:31unbändiger Hoffnung
00:51:32erfüllt wurde,
00:51:33band schwere Steine
00:51:34an seine Füße,
00:51:35die ihn wie Anker
00:51:36auf den tiefen Grund
00:51:37des Meeres zogen.
00:51:39Er fand die Pflanze
00:51:40und obwohl ihre
00:51:42spitzen Dornen
00:51:43ihn tief
00:51:44in die Hände
00:51:44stachen
00:51:45und Blut
00:51:46hervorquoll,
00:51:48ergriff er sie
00:51:48mit aller Kraft.
00:51:50Er schnitt
00:51:51die schweren Steine
00:51:52von seinen Füßen
00:51:53und das Meer
00:51:55warf ihn
00:51:55mit der Pflanze
00:51:56in der Hand
00:51:57ans rettende Ufer.
00:51:59Er sprach
00:51:59triumphierend
00:52:00zu Ur,
00:52:01Shanabi.
00:52:03Diese Pflanze,
00:52:04mein Freund,
00:52:05ist eine Pflanze
00:52:06gegen die Furcht
00:52:07vor dem Alter.
00:52:08Durch sie
00:52:09kann ein Mensch
00:52:10seine volle Lebenskraft
00:52:11und Jugend
00:52:12wiedererlangen.
00:52:13Ich will sie
00:52:14nach Uruk
00:52:15mit den starken
00:52:16Mauern bringen,
00:52:17sie den ehrwürdigen
00:52:18Alten meiner Stadt
00:52:19zu essen geben,
00:52:20um ihre Wirkung
00:52:21zu prüfen
00:52:22und sie dann
00:52:23selbst versuchen.
00:52:25Ihr Name
00:52:25soll von nun an sein,
00:52:27der Alte
00:52:28wird wieder jung.
00:52:30Sie machten sich
00:52:31unverzüglich
00:52:32auf den langen Rückweg.
00:52:34Nach zwanzig
00:52:35Doppellängen Marsch
00:52:36aßen sie
00:52:37einen kleinen Bissen,
00:52:38nach weiteren
00:52:39dreißig Doppellängen
00:52:40lagerten sie
00:52:41erschöpft
00:52:42für die Nacht.
00:52:43Gilgamesch
00:52:44sah einen kühlen,
00:52:45einladenden Brunnen
00:52:46und stieg hinab
00:52:47in das klare Wasser,
00:52:49um sich von Staub
00:52:50und Schweiß
00:52:51zu waschen.
00:52:52Eine listige Schlange,
00:52:54angelockt vom
00:52:55süßen,
00:52:55magischen Duft
00:52:56der Pflanze,
00:52:57die Gilgamesch
00:52:58achtlos und
00:52:59unbewacht am Brunnenrand
00:53:01abgelegt hatte,
00:53:02kam lautlos
00:53:03aus einer
00:53:04Felsspalte
00:53:05geschlichen,
00:53:06stahl die
00:53:06kostbare Pflanze
00:53:08und verschlang
00:53:09sie gierig.
00:53:10Sogleich
00:53:11häutete sie sich
00:53:11vor Gilgameschs Augen,
00:53:13ein untrügliches
00:53:14Zeichen ihrer
00:53:15augenblicklich
00:53:16erneuerten
00:53:17Jugend
00:53:17und verschwand.
00:53:19Gilgamesch,
00:53:20der dies mit
00:53:21ansehen musste,
00:53:22setzte sich
00:53:23ohnmächtig
00:53:23nieder und
00:53:24weinte bitterlich.
00:53:26Seine Tränen
00:53:26der Enttäuschung
00:53:27und des Zorns
00:53:28flossen,
00:53:29heiß über
00:53:30sein gequältes
00:53:31Gesicht.
00:53:32Er hatte sich
00:53:32umsonst gemüht,
00:53:34alle Gefahren
00:53:35umsonst bestanden.
00:53:37Für wen
00:53:37hatte er
00:53:38diese einzigartige
00:53:39Pflanze
00:53:39mit so viel
00:53:40Mühe errungen,
00:53:41für die
00:53:42nichtsnutzige
00:53:43Schlange der
00:53:43Erde?
00:53:44Wieder war ihm
00:53:45das ewige Leben,
00:53:47die
00:53:47ewige Jugend,
00:53:49auf so
00:53:50banale Weise
00:53:51entglitten.
00:53:52Das Schicksal
00:53:53war grausam.
00:53:55Sie setzten
00:53:56ihre traurige
00:53:57Reise fort
00:53:57und erreichten
00:53:59schließlich die
00:53:59Tore von
00:54:00Uruk.
00:54:01Gilgamesch,
00:54:02nun geläutert
00:54:03und weiser
00:54:04geworden durch
00:54:05seine Erfahrungen,
00:54:06blickte auf die
00:54:07gewaltige Stadt,
00:54:08die er einst mit
00:54:09harter, tyrannischer
00:54:11Hand regiert hatte.
00:54:13Er zeigte
00:54:13Ur,
00:54:14Shanabi,
00:54:15die mächtigen
00:54:16Mauern von
00:54:16Uruk,
00:54:17die er selbst
00:54:18hatte erbauen
00:54:19und verstärken
00:54:20lassen,
00:54:21ein Werk
00:54:21für die
00:54:22Ewigkeit.
00:54:22Sieh diese
00:54:24Mauern,
00:54:25Ur,
00:54:26Shanabi,
00:54:28sprach er mit
00:54:28einer neuen Ruhe
00:54:29in der Stimme,
00:54:30besteige die
00:54:31Mauer von
00:54:32Uruk
00:54:32und wandle
00:54:33auf ihr,
00:54:35prüfe ihr
00:54:35starkes
00:54:36Fundament,
00:54:37besieh ihr
00:54:38kunstvolles
00:54:39Ziegelwerk.
00:54:40Ist nicht ihr
00:54:41Ziegelwerk
00:54:42aus bestem
00:54:43gebranntem
00:54:43Ziegel?
00:54:44Haben nicht
00:54:45die sieben
00:54:45Weisen,
00:54:46die göttlichen
00:54:47Abkallu,
00:54:48ihre Grundlagen
00:54:49einst gelegt?
00:54:50Ein
00:54:51Saar,
00:54:51ein Teil
00:54:52ist Stadt,
00:54:54ein Saar
00:54:55sind Gärten,
00:54:57ein Saar
00:54:57ist Ödland
00:54:58und Brache.
00:55:00Dazu kommt
00:55:01das heilige
00:55:01Gebiet
00:55:02des Ishtar-Tempels.
00:55:05Drei Saar
00:55:05und das Gebiet
00:55:06des Ishtar-Tempels
00:55:07umfassen
00:55:08das große
00:55:08Uruk.
00:55:09Gilgamesch
00:55:10verstand nun
00:55:11in der Tiefe
00:55:12seines Herzens.
00:55:13Die
00:55:14persönliche,
00:55:15physische
00:55:15Unsterblichkeit
00:55:16war nicht
00:55:17für ihn
00:55:18einen Sterblichen
00:55:19bestimmt,
00:55:20auch wenn er
00:55:21zu zwei Dritteln
00:55:22Gott war.
00:55:23Doch ein
00:55:23Mensch
00:55:24konnte
00:55:24Unsterblichkeit
00:55:26anderer,
00:55:27dauerhafterer Art
00:55:28erlangen,
00:55:29durch die
00:55:30großen Werke,
00:55:31die er für
00:55:31seine Gemeinschaft
00:55:32hinterlässt,
00:55:34durch den
00:55:34unvergänglichen
00:55:35Ruhm seiner
00:55:36ehrenvollen
00:55:37Taten,
00:55:38durch die
00:55:38starken
00:55:39Mauern
00:55:39einer großen
00:55:40Stadt,
00:55:41die sein
00:55:42Volk
00:55:42über
00:55:43Generationen
00:55:44schützen.
00:55:44Er hatte
00:55:45den
00:55:45furchtbaren
00:55:46Humbaba
00:55:47besiegt.
00:55:48Er hatte
00:55:49den
00:55:49gefährlichen
00:55:50Himmelsstier
00:55:51getötet.
00:55:52Er hatte
00:55:52Abenteuer
00:55:53bestanden,
00:55:55die kein
00:55:55anderer
00:55:56Mensch
00:55:56vor ihm
00:55:57gewagt
00:55:57hatte.
00:55:58Er hatte
00:55:59die
00:55:59höchste
00:56:00Freude
00:56:00der
00:56:00Freundschaft
00:56:01und den
00:56:02tiefsten
00:56:02Schmerz
00:56:03des
00:56:03Verlustes
00:56:04erfahren.
00:56:05Er hatte
00:56:05die
00:56:06äußersten
00:56:06Grenzen
00:56:07der
00:56:07menschlichen
00:56:08Existenz
00:56:09ausgelotet
00:56:10und war
00:56:11daran
00:56:11gewachsen.
00:56:12Er
00:56:12kehrte
00:56:13als ein
00:56:13verwandelter,
00:56:15ein
00:56:15weiserer
00:56:15König
00:56:16nach
00:56:16Uruk
00:56:17zurück,
00:56:18der
00:56:18die
00:56:18unausweichliche
00:56:19Vergänglichkeit
00:56:20des
00:56:20einzelnen
00:56:21Lebens
00:56:21akzeptierte,
00:56:23aber auch
00:56:24dessen
00:56:24unschätzbaren
00:56:25Wert
00:56:26und die
00:56:26Bedeutung
00:56:26des
00:56:27gemeinschaftlichen
00:56:28Erbes.
00:56:29Er
00:56:29regierte
00:56:29fortan
00:56:30gerecht
00:56:31und mit
00:56:31Weisheit
00:56:32und wurde
00:56:33als
00:56:33großer
00:56:33Held
00:56:34und
00:56:34weiser
00:56:34Herrscher
00:56:35in der
00:56:36Erinnerung
00:56:36seines
00:56:37Volkes
00:56:37bewahrt.
00:56:39Seine
00:56:39außergewöhnliche
00:56:40Geschichte,
00:56:41seine
00:56:42monumentale
00:56:43Suche
00:56:43nach dem
00:56:43ewigen
00:56:44Leben,
00:56:45die
00:56:45ihn an
00:56:45die
00:56:45Grenzen
00:56:46der
00:56:46bekannten
00:56:47Welt
00:56:47und
00:56:48darüber
00:56:48hinaus
00:56:49führte,
00:56:50seine tiefen
00:56:51herzzerreißenden
00:56:52Leiden,
00:56:53die ihn von
00:56:54einem
00:56:54arroganten
00:56:55Tyrannen
00:56:56zu einem
00:56:56weisen
00:56:57Herrscher
00:56:57formten
00:56:58und seine
00:56:59hart
00:56:59errungenen,
00:57:00unschätzbaren
00:57:01Erkenntnisse
00:57:02über das
00:57:02Wesen
00:57:03des
00:57:03Menschseins,
00:57:04all dies,
00:57:05so wird
00:57:05erzählt,
00:57:07wurde auf
00:57:07ausdrücklichen
00:57:08Befehl
00:57:09der
00:57:09großen
00:57:10Götter
00:57:10selbst,
00:57:11die
00:57:11in
00:57:11seinem
00:57:12Schicksal
00:57:12ein
00:57:13Lehrstück
00:57:14für die
00:57:14gesamte
00:57:15Menschheit
00:57:15sahen,
00:57:16oder
00:57:17vielleicht
00:57:17durch die
00:57:18weitsichtige
00:57:18Initiative
00:57:19weiser
00:57:20Schreiber,
00:57:21die den
00:57:22unsterblichen
00:57:23Wert
00:57:23seiner
00:57:24Erfahrungen
00:57:24erkannten,
00:57:26oder
00:57:26gar auf
00:57:27Geheiß des
00:57:28geläuterten
00:57:28Gilgamesch
00:57:29selbst,
00:57:30der in
00:57:30seinen
00:57:31letzten
00:57:31Jahren
00:57:32den
00:57:32brennenden
00:57:33Wunsch
00:57:33verspürte,
00:57:34die
00:57:34Summe
00:57:35seines
00:57:35Lebens,
00:57:37die
00:57:37Essenz
00:57:37seiner
00:57:38Transformation
00:57:38mit jenen
00:57:39zu teilen,
00:57:40die nach
00:57:40ihm kommen
00:57:41würden,
00:57:42in
00:57:42sorgfältiger
00:57:43Keilschrift
00:57:44auf Tafeln
00:57:44aus
00:57:45beständigem
00:57:45Ton
00:57:46aufgeschrieben.
00:57:47Jeder
00:57:48Keil,
00:57:49jeder
00:57:49Strich
00:57:50wurde mit
00:57:51Bedacht
00:57:51in den
00:57:52feuchten
00:57:52Lehm
00:57:53gedrückt,
00:57:54ein
00:57:54mühsamer
00:57:55Akt
00:57:55der
00:57:55Konservierung,
00:57:57bevor
00:57:57die
00:57:57Tafeln
00:57:58in den
00:57:58glühenden
00:57:59Öfen
00:57:59gebrannt
00:58:00wurden,
00:58:00um den
00:58:01Zahn
00:58:01der
00:58:01Zeit,
00:58:02die
00:58:03Vergessenheit
00:58:03und den
00:58:04Verfall
00:58:04zu
00:58:05überdauern.
00:58:05Man stelle
00:58:06sich die
00:58:07Schreiber
00:58:07vor,
00:58:09wie sie
00:58:09in
00:58:09Scheinflackern
00:58:10der
00:58:10Öllampen
00:58:11arbeiteten,
00:58:12die
00:58:13Worte
00:58:13wogen,
00:58:14die
00:58:14Bilder
00:58:14von
00:58:14Gilgamesch's
00:58:15Taten
00:58:16und
00:58:16Enkidus
00:58:17unschuldiger
00:58:17Wildheit
00:58:18heraufbeschworen,
00:58:20die
00:58:20Klänge
00:58:20ihrer
00:58:21Stimmen
00:58:21fast
00:58:22hörend,
00:58:23während
00:58:23sie
00:58:23die
00:58:24epischen
00:58:24Gesänge
00:58:25für
00:58:25die
00:58:25Ewigkeit
00:58:26festhielten.
00:58:28Dies
00:58:28war
00:58:29kein
00:58:29bloßes
00:58:30Protokoll
00:58:30von
00:58:30Ereignissen,
00:58:32sondern
00:58:32die
00:58:32Schaffung
00:58:33eines
00:58:33Denkmals
00:58:34aus
00:58:34Worten,
00:58:35ein
00:58:35Vermächtnis,
00:58:36das
00:58:36nicht in
00:58:37Stein
00:58:37gemeißelt,
00:58:38sondern
00:58:39in die
00:58:39Seele
00:58:40der
00:58:40Kultur
00:58:40eingebrannt
00:58:41wurde,
00:58:42damit
00:58:42auch
00:58:42die
00:58:43zukünftigen,
00:58:44noch
00:58:44ungeborenen
00:58:45Generationen
00:58:46davon
00:58:46erfahren
00:58:47und aus
00:58:48seinem
00:58:48Schicksal
00:58:49lernen
00:58:49konnten.
00:58:50Denn
00:58:50die
00:58:50Geschichte
00:58:51von
00:58:51Gilgamesch
00:58:52ist
00:58:52mehr
00:58:52als
00:58:53nur
00:58:53die
00:58:53Chronik
00:58:53eines
00:58:54Königs.
00:58:54Sie
00:58:55ist
00:58:55ein
00:58:55Spiegel,
00:58:56der der
00:58:56Menschheit
00:58:57vorgehalten
00:58:57wird,
00:58:58eine
00:58:58Quelle
00:58:59zeitloser
00:59:00Lehren.
00:59:00Sie
00:59:01erzählt
00:59:02von der
00:59:02Hybris
00:59:03der
00:59:03Macht,
00:59:04von der
00:59:04Verlockung,
00:59:05Gott gleich
00:59:05sein zu
00:59:06wollen,
00:59:07und von der
00:59:07schmerzhaften,
00:59:08aber notwendigen
00:59:09Erkenntnis der
00:59:10eigenen
00:59:11menschlichen
00:59:11Grenzen.
00:59:12Sie lehrt uns,
00:59:13dass wahre
00:59:14Stärke nicht in der
00:59:15Unterdrückung
00:59:16anderer liegt,
00:59:17sondern in Mut,
00:59:18sich den eigenen
00:59:19Ängsten und
00:59:19Schwächen
00:59:20zu stellen.
00:59:21Die
00:59:21Freundschaft
00:59:22zwischen
00:59:22Gilgamesch und
00:59:23Enkidu,
00:59:24so rein und
00:59:25unerschütterlich,
00:59:27leuchtet als
00:59:27ein ewiges
00:59:28Beispiel für
00:59:29die transformative
00:59:30Kraft der
00:59:31Liebe und
00:59:31Verbundenheit,
00:59:33die selbst
00:59:33den härtesten
00:59:34Charakter zu
00:59:35erweichen
00:59:35und zu
00:59:36veredeln
00:59:37vermag.
00:59:38Enkidus
00:59:38Tod wiederum
00:59:39konfrontiert
00:59:40uns mit der
00:59:41Unausweichlichkeit
00:59:42des Verlustes
00:59:43und der
00:59:44tiefen Wunde,
00:59:45die er in der
00:59:46Seele hinterlässt,
00:59:47eine Wunde,
00:59:48die Gilgamesch
00:59:49auf seine
00:59:49verzweifelte
00:59:50Suche trieb,
00:59:51aber ihn
00:59:52letztlich auch
00:59:53zu einer
00:59:53tieferen
00:59:54Wertschätzung
00:59:54des Lebens
00:59:55führte.
00:59:56Seine
00:59:57Begegnungen
00:59:58mit
00:59:58Siduri,
00:59:59der weisen
00:59:59Schankwirtin,
01:00:00die ihn
01:00:01ermahnte,
01:00:02die einfachen
01:00:02Freuden
01:00:03des Daseins
01:00:03zu genießen
01:00:04und mit
01:00:05Utnapishtim,
01:00:07dem unsterblichen
01:00:08Fluthelden,
01:00:09der ihm die
01:00:10Vergeblichkeit
01:00:10seines Strebens
01:00:12nach
01:00:12ewigem Leben
01:00:13vor Augen
01:00:13führte,
01:00:15sind Stationen
01:00:16einer
01:00:16inneren
01:00:17Reifung.
01:00:18Gilgamesch
01:00:19lernte auf
01:00:19die härteste
01:00:20Weise,
01:00:21dass das
01:00:22Glück
01:00:22nicht in der
01:00:23Ferne oder
01:00:24in der Überwindung
01:00:25der Naturgesetze
01:00:26zu finden ist,
01:00:28sondern in
01:00:28Hier und
01:00:29Jetzt,
01:00:30in der
01:00:30Annahme des
01:00:31eigenen Loses
01:00:32und in der
01:00:33Erfüllung der
01:00:34Aufgaben,
01:00:35die das Leben
01:00:36einem stellt.
01:00:37Er erkannte,
01:00:38dass der
01:00:39Bau der
01:00:39Mauern von
01:00:40Uruk,
01:00:41die Schaffung von
01:00:42Sicherheit und
01:00:42Wohlstand für
01:00:43sein Volk,
01:00:44eine bedeutsamere
01:00:45Tat war als
01:00:46jede Jagd nach
01:00:47persönlicher
01:00:48Unsterblichkeit.
01:00:50Und so ist die
01:00:50Geschichte von
01:00:51Gilgamesch,
01:00:53dem König,
01:00:54der den
01:00:54leibhaftigen
01:00:55Tod nicht
01:00:55besiegen konnte,
01:00:57der die
01:00:57Pflanze der
01:00:58ewigen
01:00:58Jugend verlor
01:00:59und die
01:01:00Prüfung des
01:01:01ewigen
01:01:01Wachens
01:01:02nicht bestand,
01:01:03dennoch
01:01:04die
01:01:05Geschichte
01:01:05eines
01:01:06Siegers.
01:01:08Denn er lernte,
01:01:09das Leben in
01:01:10seiner ganzen
01:01:11zerbrechlichen
01:01:12Fülle zu
01:01:12umarmen,
01:01:14die Süße der
01:01:14Freundschaft ebenso
01:01:16wie die
01:01:16Bitterkeit des
01:01:17Verlustes
01:01:18anzunehmen
01:01:19und ein
01:01:20Vermächtnis
01:01:20zu hinterlassen,
01:01:22das die
01:01:23Zeiten und den
01:01:23unaufhaltsamen
01:01:24Zerfall
01:01:25überdauern sollte.
01:01:27Er fand keine
01:01:27Unsterblichkeit
01:01:28für seinen
01:01:28Körper,
01:01:29aber er
01:01:30erlangte eine
01:01:31Unsterblichkeit
01:01:32für seinen
01:01:32Geist,
01:01:33für seinen
01:01:34Namen,
01:01:34für seine
01:01:35Stadt.
01:01:36Die
01:01:36Mauern von
01:01:37Uruk,
01:01:38von ihm
01:01:38errichtet
01:01:39oder zumindest
01:01:40vollendet,
01:01:41standen noch
01:01:42Jahrhunderte,
01:01:44ja Jahrtausende
01:01:45nach seinem
01:01:45Tod als
01:01:46stumme Zeugen
01:01:47seiner Herrschaft
01:01:48und seiner
01:01:49letztendlichen
01:01:50Weisheit.
01:01:51Sie waren
01:01:52mehr als
01:01:52nur Stein
01:01:53und Lehm.
01:01:54Sie waren
01:01:55ein Symbol
01:01:56für Gemeinschaft,
01:01:57für Schutz,
01:01:58für menschliches
01:01:59Streben und
01:02:00menschliche
01:02:00Leistung.
01:02:01So endet
01:02:02die große
01:02:03Erzählung
01:02:04von Gilgamesch,
01:02:06dem Suchenden,
01:02:07der auszog,
01:02:08das ewige
01:02:08Leben zu finden
01:02:09und stattdessen
01:02:11die Bedeutung
01:02:11des sterblichen
01:02:12Lebens entdeckte,
01:02:14dem Helden,
01:02:15der ungeheuer
01:02:16besiegte,
01:02:17aber seine
01:02:17größte Schlacht
01:02:18gegen die eigene
01:02:19Angst und
01:02:20Verzweiflung
01:02:21schlug,
01:02:22dem König
01:02:22von Uruk,
01:02:24der lernte,
01:02:25dass wahre
01:02:25Größe
01:02:26nicht in
01:02:26Nehmen,
01:02:27sondern
01:02:28in Geben
01:02:28liegt.
01:02:29Sein Name,
01:02:31Gilgamesch,
01:02:32lebt weiter,
01:02:34unauslöschlich
01:02:35eingebrannt
01:02:36in das Gedächtnis
01:02:37der Welt.
01:02:39Er lebt
01:02:39nicht in
01:02:40vergänglichen,
01:02:41ewigen Leben
01:02:41eines Einzelnen,
01:02:43wie es
01:02:43Utnapishtim
01:02:44zuteil wurde,
01:02:45ein isoliertes,
01:02:46fast melancholisches
01:02:47Dasein am Rande
01:02:48der Welt.
01:02:49Nein,
01:02:50Gilgamesch's Unsterblichkeit
01:02:52ist dynamischer.
01:02:54Sie pulsiert
01:02:55in der ewigen
01:02:55Geschichte der
01:02:56Menschheit,
01:02:57in kollektiven
01:02:58Gedächtnis,
01:02:59das von Generation
01:03:00zu Generation
01:03:01weitergegeben wird.
01:03:03Jedes Mal,
01:03:04wenn seine Geschichte
01:03:05erzählt
01:03:06oder gelesen wird,
01:03:08erwacht er aufs Neue
01:03:09zum Leben,
01:03:10seine Kämpfe
01:03:11werden neu durchlebt,
01:03:13seine Erkenntnisse
01:03:14neu verstanden.
01:03:16Die Tafeln
01:03:17aus Ton,
01:03:18auf denen sein Epos
01:03:19so kunstvoll
01:03:20niedergeschrieben wurde,
01:03:22mögen zerbrochen
01:03:23und verwittert sein,
01:03:25ihre Kanten
01:03:25abgestoßen,
01:03:27ihre Oberfläche
01:03:28von den Stürmen
01:03:29der Zeit
01:03:29gezeichnet.
01:03:30Die stolze
01:03:31Stadt Uruk
01:03:32selbst,
01:03:33einst ein strahlendes
01:03:34Zentrum der Zivilisation,
01:03:37mag tief
01:03:37in Sand
01:03:38der mesopotamischen
01:03:39Wüste
01:03:40versunken sein,
01:03:41ihre Tempel
01:03:42zerfallen,
01:03:43ihre Paläste
01:03:44nur noch
01:03:45Schutthügel.
01:03:46Doch die Worte,
01:03:47die unsterblichen
01:03:48Worte,
01:03:49die von seinen
01:03:50gewaltigen Taten
01:03:51künden,
01:03:52von seiner
01:03:52übergroßen
01:03:53Freude
01:03:54an der Seite
01:03:55in Kidos
01:03:55und seinem
01:03:56unermesslichen
01:03:57Leid
01:03:58nach dessen
01:03:58Verlust,
01:03:59von seiner
01:04:00unzerbrechlichen
01:04:01Freundschaft,
01:04:02die stärker war
01:04:03als jede Gefahr,
01:04:05und von seiner
01:04:05rastlosen,
01:04:06quälenden
01:04:07Suche
01:04:07nach dem
01:04:08Sinn des Lebens
01:04:09in Angesicht
01:04:09des Todes,
01:04:11diese Worte,
01:04:12sie haben die
01:04:13Jahrtausende
01:04:14auf wundersame
01:04:15und geheimnisvolle
01:04:16Weise überdauert.
01:04:18Sie wurden
01:04:18wiederentdeckt,
01:04:19entziffert,
01:04:21übersetzt
01:04:21und haben
01:04:22nichts von
01:04:23ihrer
01:04:23ursprünglichen
01:04:24Kraft verloren.
01:04:26Sie sprechen
01:04:26noch heute
01:04:27eindringlich
01:04:28und mit
01:04:29erstaunlicher
01:04:30Klarheit zu uns,
01:04:31zu Menschen
01:04:32des
01:04:32einundzwanzigsten
01:04:34Jahrhunderts,
01:04:35über Kontinente
01:04:36und Kulturen
01:04:37hinweg.
01:04:38Sie sprechen
01:04:39zu uns
01:04:39von dem,
01:04:40was es bedeutet,
01:04:41ein Mensch
01:04:42zu sein,
01:04:43mit all seinen
01:04:43glorreichen
01:04:44Stärken
01:04:45und seinen
01:04:45bedauernswerten
01:04:46Schwächen,
01:04:47seinen glanzvollen
01:04:48Triumpfen
01:04:49und seinen
01:04:50tiefsten
01:04:50Tragödien.
01:04:52Die Fragen,
01:04:53die Gilgamesch
01:04:54umtrieben,
01:04:55die Frage
01:04:56nach Freundschaft
01:04:57und Liebe,
01:04:58nach Verlust
01:04:58und Trauer,
01:05:00nach dem Sinn
01:05:00des Daseins
01:05:01und der Angst
01:05:02vor der Vergänglichkeit,
01:05:03sind die ewigen
01:05:05Fragen der
01:05:06Menschheit.
01:05:07Sie sind
01:05:08heute so
01:05:08relevant
01:05:09wie vor
01:05:094000
01:05:10oder 5000
01:05:11Jahren.
01:05:13Und solange
01:05:13Menschen
01:05:14lieben
01:05:14und leiden,
01:05:16hoffen
01:05:16und verzweifeln,
01:05:18suchen
01:05:18und finden,
01:05:20solange
01:05:20wird die
01:05:21Geschichte
01:05:21von Gilgamesch
01:05:22weitererzählt
01:05:23werden,
01:05:24ein unsterbliches
01:05:25Echo aus der
01:05:26Wiege der
01:05:27Zivilisation,
01:05:29das uns
01:05:29daran erinnert,
01:05:31dass auch
01:05:31in Angesicht
01:05:32des Todes
01:05:33das Leben
01:05:35einen
01:05:35unauslöschlichen
01:05:36Wert besitzt
01:05:37und dass
01:05:38unsere Taten,
01:05:39unsere Beziehungen
01:05:40und die
01:05:41Geschichten,
01:05:41die wir
01:05:42hinterlassen,
01:05:43unsere wahre
01:05:44Unsterblichkeit
01:05:45sind.
01:05:46und die
01:05:47Schmerz
01:05:59und die
01:06:00Schmerz
01:06:01Vielen Dank.
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