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eine Mutter und ihre toten Kinder

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Lernen
Transkript
00:00Willkommen an diesem Sonntagabend. Willkommen zu einem Täter-Opfer-Polizei-Extra.
00:20Heute wieder zu einem Verbrechen, das bereits aufgeklärt werden konnte, aber vermutlich für alle, die hier in der Region schon länger leben, unvergessen ist.
00:28Es führt uns nach Frankfurt oder der Ort, in dem ich aufgewachsen bin und niemand, niemand konnte sich damals vorstellen, dass so etwas in dieser Stadt passieren könnte.
00:37Neun tote Babys und erst 2005, also vor genau 20 Jahren, wurden sie entdeckt.
00:50Bis heute ist der Fall einmalig in der deutschen Kriminalgeschichte.
00:54Eine Frau steht wochenlang vor Gericht, weil neun ihrer Kinder nicht überlebten.
01:04Einerseits gab es eine große Wut, weil es ja wirklich auch schlimme Verbrechen sind, die sich da herauskristallisiert haben.
01:11Aber andererseits gab es auch eine große Betroffenheit, also um den Tod dieser Kinder.
01:14Da muss man schon dreimal schlucken, auch als gestandene Kapitaldezernente.
01:19Es ist tief traurig und tief tragisch für alle, die daran in irgendeiner Weise beteiligt werden.
01:27Alles fängt in Frankfurt-Oder an, als der Ort noch eine Bezirksstadt der DDR war.
01:381987 zieht in dieses Wohnhaus ein junges Paar ein.
01:43Eine junge Familie mit drei kleinen Kindern.
01:45Damals ist Sabine H. 21 Jahre alt.
01:51Ihr Mann Oliver 23.
01:54Er geht arbeiten und verdient das Geld in den Büros der Staatssicherheit, dem Geheimdienst der DDR.
02:03Sie bleibt zu Hause und versorgt die drei Kinder.
02:06Anfangs meistert das Paar die Herausforderungen des Alltags.
02:10Doch dann kommt der Tag, der wohl alles ändert.
02:17Er droht damit, sie zu verlassen, wenn sie wieder schwanger wird.
02:20Wenn also ein viertes Kind kommt.
02:23Doch wahrscheinlich war es da schon zu spät.
02:33Sabine H. wird später behaupten, dass sie die Schwangerschaft 1988 nicht bemerkte.
02:38In einer Septembernacht hat sie dann Bauchkrämpfe und schleicht sich ins Bad, will Mann und Kinder nicht wecken.
02:49Die junge Frau hat starke Schmerzen.
02:51Dann sei irgendwie etwas aus ihr herausgerutscht, so erzählt sie es später.
02:56Und dass sie einem Baby ins Gesicht schaute, das blau angelaufen war.
03:02Ob es lebte, kann oder will sie nie beantworten.
03:05Schließlich nimmt sie ein Handtuch und wickelt das gerade geborene Kind ein.
03:19Doch wohin damit?
03:21Die Antwort findet sie in jener Septembernacht auf dem Balkon ihrer Wohnung.
03:26Dort vergräbt sie das Bündeln einem mit Erde gefüllten Aquarium.
03:29Ein spontaner Entschluss, so ihre Aussage später.
03:38Dann braucht sie Alkohol.
03:40Viel Alkohol.
03:43So wird es sich achtmal wiederholen.
03:47Ein Ablauf, der Sachverständige bis heute beschäftigt.
03:50Es handelt sich ja hier um eine Tatserie.
03:58Und die beginnt mit der ungewollten Schwangerschaft einer Frau, die bereits Kinder hat.
04:06Die Alkohol missbraucht.
04:07Die in einer abhängigen Beziehung lebt zu einem Mann in einer belasteten Ehe.
04:15Diese erste Tat, die kann man aus meiner Sicht noch aus dieser Konfliktsituation einer überforderten,
04:26vielleicht auch suchtkranken, jungen Frau unter Druck erklären.
04:30Die dann die Schwangerschaft so lange versucht zu ignorieren, versucht zu leugnen,
04:38bis es dann so weit ist, dass das Kind geboren wird und die dann aus der Angst und aus der vollkommenen Überforderung der Situation heraus das Kind nicht versorgt.
04:55Bilder aus Briesko-Finkenherd, einer Gemeinde knapp 15 Kilometer von Frankfurt-Oder entfernt.
05:01Hier wächst Sabine H. in den 60er Jahren auf.
05:05Hier lebt sie mit ihren Eltern und den zwei Schwestern.
05:08Sie gilt als unkompliziertes, intelligentes Kind.
05:13In der Schule hat sie keine Probleme.
05:19Zwei Mitschülerinnen, die gemeinsam mit Sabine H. den Schulabschluss machten,
05:24erinnern sich an sie, nachdem der Fall öffentlich wurde.
05:28Das Lernen fiel ihr absolut leicht.
05:30Sie hat ein Buch geschaut, sie hat gewusst, was los ist.
05:33Sie brauchte sich nicht erst schon lange hinsetzen, zu parocken, zu lernen.
05:36Ich kann mich nicht daran erinnern, dass Sabine irgendein Lieblingsfach hatte oder in einem Fach schlechter war,
05:41vielleicht mal eine Zwei oder so auf ein Zeugnis.
05:44Ja, aber ansonsten war sie eben durchgehend gut.
05:47Zu Hause ist sie das Nesthäkchen, um das sich vor allem der Vater kümmert.
05:54Er arbeitet bei der Eisenbahn und ist im evangelischen Kirchenrat.
06:02Eisenhütten-Stadt ist die nächste Lebensstation für Sabine H.
06:06Anfang der 80er Jahre startet sie hier ihre Berufsausbildung zur Zahnarzthelferin.
06:13Auch wenn die Seminare keinen Spaß machen, beendet sie die Ausbildung.
06:18Und wird 1984 zum ersten Mal schwanger.
06:22Von ihrer großen Liebe Oliver.
06:25Da ist sie 17.
06:26Mit 21 ist sie dann schon Mutter von drei Kindern.
06:33Die Familie lebt in Frankfurt-Oder, wo der Alltag für das Paar nun anstrengend ist.
06:39Das verändert die Beziehung.
06:43So rekonstruieren es später auch die Ermittler.
06:45Man wollte ja das Leben anders planen, als sich um drei kleine Kinder kümmern zu müssen.
06:59Und der Ehemann hat ihr, oder soll ihr zu der Zeit auch beachtliche Vorhaltungen gemacht haben.
07:091992, also vier Jahre nachdem das Baby im Aquarium vergraben wurde, ist sie wieder schwanger.
07:15Die Zeiten sind unsicher.
07:19Die DDR gibt es nicht mehr.
07:21Und ihr Mann droht, sie zu verlassen.
07:24Doch warum geht sie in dieser Situation nicht zum Frauenarzt?
07:28Warum sucht sie sich diesmal keine Hilfe?
07:31Sie hatte eine wahnsinnige Angst, dass man bei ihr feststellen kann,
07:38dass sie schwanger war, dass sie ein viertes Kind hätte haben müssen.
07:44Und dieses Kind nicht vorweisen konnte.
07:48Berlin ist für Sabine H. 1992 ein Anlaufpunkt.
07:53Hier arbeitet sie für ein Dentallabor.
07:56Ihre damalige Chefin erinnert sich an die erste Begegnung.
07:59Eines Tages stand sie im Eingangsbereich und ich sah sie und ich habe sie angesprochen und habe gesagt,
08:06sind Sie die neue Mitarbeiterin im Außendienst?
08:09Ja, sagte sie.
08:10Ja.
08:10Sag ich, aber Sie sind doch hochschwanger.
08:13Und da guckte sie mich an.
08:14Nein, wie kommen Sie denn darauf?
08:16Ich bin doch nicht schwanger.
08:16Sabine H. zerstreut Zweifel, fährt 1992 für den neuen Job zu einer Fortbildung
08:24und bekommt in einem Hotelzimmer das zweite ungewollte Kind.
08:30In Goslar.
08:32Weit weg von zu Hause.
08:34Weit weg von ihrem Mann.
08:36Gerade bei diesem Kind hatte sie die Möglichkeit, das Kind ohne weitere Probleme am Leben zu lassen.
08:46Am Leben zu lassen, indem sie sich in ärztliche Behandlung geht, indem sie in ein Krankenhaus geht,
08:55indem sie völlig anonym die Entbindung durchgeführt hätte.
09:00Doch die Frau entscheidet sich anders.
09:05Sie lässt auch dieses Kind sterben, wickelt es in ihren Mantel und nimmt das Bündel mit nach Hause.
09:12Mit dem toten Baby im Kofferraum fährt sie zurück nach Frankfurt.
09:18Und vergräbt das Kind wieder auf dem Balkon.
09:23Diesmal in einer Babywanne.
09:24Sie stellt sie neben das Aquarium.
09:29Neben das andere tote Baby.
09:32Dann greift sie wieder zur Flasche.
09:35Das wirkt wie ein Muster.
09:37Was man sieht, emotionale Vermeidung ist ein Verhalten,
09:42was wir zeigen als Menschen, wenn wir in problematischen Situationen sind.
09:46Dann können wir aktiv nach vorne gehen und die Situation bewältigen.
09:50Oder aber wir suchen den kleinen Ausweg.
09:56Sucht ist ein ganz typisches Beispiel für den kleinen Ausweg.
10:02Suchtkrank wird man, wenn man regelmäßig in schwierigen emotionalen Situationen,
10:08wenn man Konflikte hat, Ängste und so weiter,
10:11sich kurzfristig beruhigt, indem man zum Beispiel Alkohol trinkt.
10:15Trotz allem schafft es Sabine H. weiterzuarbeiten.
10:20Und Fragen zu umgehen.
10:22Als ich es das nächste Mal wieder gesehen habe, war der Bauch weg.
10:27Und da habe ich mir noch gedacht, vielleicht spinnst du ja auch ein bisschen.
10:31In der ganzen Zeit ist sie für ihre ersten drei Kinder eine zuverlässige und liebevolle Mutter.
10:38Wahrscheinlich fällt auch deshalb im sozialen Umfeld niemandem auf,
10:41dass etwas schiefläuft in dieser Familie, die Beziehung zum Mann wohl zerrüttet ist.
10:47Dennoch wird sie immer wieder schwanger.
10:51Jahrelang. Bis 1998.
10:55Ein Phänomen, für das es eine Erklärung gibt in der Wissenschaft.
10:58Das folgt dem Muster emotionaler Vermeidung.
11:03Also statt die Probleme ihrer Ehe zu lösen, statt ihre Alkoholprobleme zu lösen,
11:08statt die Probleme ihrer körperlichen Verfassung zu lösen,
11:13das macht sie alles nicht.
11:14Das führt zu einem entsprechend unangenehmen inneren Zustand,
11:18den man unter anderem zum Beispiel dadurch regulieren kann, dass man schwanger ist,
11:22weil man einfach in einen anderen hormonellen Zustand kommt.
11:24Der ist am Anfang schwierig, in der Mitte, aber durchaus positiv in der Wirkung auf den Körper und auch auf die Psyche.
11:36Aus meiner Sicht kann man anders gar nicht erklären, warum sie das fast suchtartig, könnte man ja sagen,
11:44also immer wieder, immer wieder diese Situation aufgesucht hat,
11:47trotzdem sie normal intelligent war und hätte verhüten können, weil der Mann ja keine Kinder wollte.
11:52Der Mann bemerkt von den Schwangerschaften angeblich nichts und auch nichts von den Geburten.
11:59So wird er es später vor Gericht immer wieder aussagen.
12:04Dabei bringt seine Frau zehn Jahre lang im Vollrausch Kinder zur Welt und vergräbt sie dann auf dem gemeinsamen Balkon.
12:16Dann geschieht das, was sie immer befürchtet hat.
12:20Ihr Mann trennt sich.
12:22Sie muss im Frühjahr 2002 aus der großen Wohnung in Frankfurt-Oder ausziehen und bringt ihre Sachen erst mal zu ihren Eltern nach Briesko-Finkenherd.
12:32Auch die Babywanne, das Aquarium und all die anderen Gefäße, in denen die toten Kinder liegen.
12:39Die stehen dort drei Jahre lang im Garten, bis zum 31. Juli 2005.
12:44An diesem Tag räumt der Neffe von Sabine H. das Grundstück in Briesko-Finkenherd auf und entdeckt etwas.
12:54Das meldet er umgehend der Polizei.
12:59Bei der Fundortsicherung offenbart sich selbst für erfahrene Polizisten ein Verbrechen von erschütternder Dimension.
13:12Sie müssen sich das so vorstellen, die ersten beiden, ja, die akzeptieren sie.
13:15Da ist was Schlimmes passiert, die akzeptieren sie, geht los.
13:18Dann nehmen sie sich das nächste Gefäß und sagen, nee.
13:21Dann nehmen sie sich das nächste.
13:22Und irgendwann kommt dann, wo sie gucken, ich habe noch so und so viele Gefäße, eigentlich will ich das gar nicht mehr.
13:30Regionale Medien begleiten den Fall von Anfang an.
13:38Das war damals so, dass wir einen Anruf erhalten haben, also meines Wissens nach auch von der Polizei,
13:45also von jemandem, der auf die Sache aufmerksam machen wollte.
13:50Und das war auch so, dass relativ schnell bekannt wurde, dass es um tote Kinder geht.
13:58In Frankfurt oder, in ganz Deutschland, löst der Fund starke Emotionen aus.
14:05Die Schlagzeilen dieser Zeit spiegeln wieder, welche Wirkung die Details haben, die nach und nach öffentlich werden.
14:13Also einerseits gab es eine große Wut, weil es ja wirklich auch schlimme Verbrechen sind, die sich da herauskristallisiert haben.
14:22Aber andererseits gab es auch eine große Betroffenheit, also um den Tod dieser Kinder.
14:26Also das ist dieses eine Telefonat, ich erinnere mich, da war wirklich eine Frau am Telefon, die anrief,
14:34die einfach so völlig fassungslos war und dann eben auch geweint hat am Telefon.
14:40Und dieser Fall ist mir eben in Erinnerung geblieben, weil es eben auch nicht jeden Tag vorkommt,
14:44dass Leute anrufen und am Telefon weinen.
14:46Und es gab eben aber auch ganz andere Meinungen, dass Leute eben gesagt haben,
14:52also die Frau für immer wegsperren und eben auch noch schlimmere Sachen, die ich jetzt nicht unbedingt wiederholen möchte.
15:01Inmitten der aufgewühlten Atmosphäre stehen die Ermittlungsbehörden unter Druck.
15:05Und vor einem riesigen Berg an Arbeit, denn jeder einzelne Fund dieser neun toten Kinder muss geklärt werden.
15:12Für uns stand fest, wir müssen über einen Zeitraum von wenigstens 20 Jahren ermitteln.
15:20Wir haben ja das persönliche Lebensumfeld sehr umfassend aufklären müssen.
15:28Wir mussten ermitteln, wir wussten ja nicht, wann diese Kinder geboren worden sind.
15:33Wir wussten nicht, wann diese Kinder zu Tode gekommen sind.
15:37Sabine H. wird in Frankfurt-Oder festgenommen und kommt in Untersuchungshaft.
15:49Kurz danach hat sie einen Rechtsanwalt in ihrer Seite.
15:55Also wenn man nur diese Vorwürfe kennt und die Person nicht kennt,
16:00dann stellt man sich ja irgendwie was ganz Furchtbares vor.
16:03Und das war nun überhaupt nicht so. Das war eine Frau, die einem, wenn man mal das ausblendet, was man ihr vorwirft,
16:13die intelligent war, mit der man sich unterhalten konnte, die aufgeschlossen war, die sympathisch war.
16:22In der Gerichtsmedizin Frankfurt-Oder laufen zu der Zeit bereits wichtige Untersuchungen.
16:28Hier werden 2005 die Überreste der Babyleichen obduziert.
16:32Im Ergebnis unserer Obduktion konnten wir eindeutig feststellen, dass alle neun Neugeborenen reif geboren waren.
16:43Also sie waren reif, hatten keinerlei Zeichen einer Unreife, die möglicherweise auch einen Tod hätten erklären können.
16:50Wir haben keine Todesursache feststellen können bei keinem Kind.
16:53Klar ist nach der Obduktion auch, es waren zwei Jungs und sieben Mädchen.
16:57Und alle haben denselben Vater, den Ehemann von Sabine H.
17:02Unklar bleibt erstmal, ob die Kinder aktiv getötet wurden, starben, weil niemand sie versorgte oder ob die Babys bereits tot zur Welt kamen.
17:11Fragen, die im Landgericht Frankfurt-Oder über Monate eine Rolle spielen.
17:18Denn hier beginnt im April 2006 der Prozess, den auch die Journalistin Beate Bias mitverfolgte.
17:24Das ist immer so ein großer Augenblick, also wenn dann im Gerichtssaal alle sitzen und warten.
17:32Das war eine sehr unscheinbare Frau, also klein, zierlich und sie wirkte sehr scheu.
17:39Also sie war auch, glaube ich, so ein bisschen sehr beeindruckt von der Situation dieses großen Gerichtssails, der vielen Menschen, alle guckten auf sie.
17:46Über Wochen folgen dann immer wieder diese Bilder.
17:52Die inzwischen 40-Jährige wird in den Gerichtssaal geführt.
17:55Die Anklage lautet mehrfacher Mord.
17:58Doch sie schweigt, macht keine Aussagen zu den Geburten oder den toten Kindern.
18:04Auch nicht dazu, warum sie die Kinder in Gefäßen vergrub und sie alle bei sich behielt.
18:09Diese Originalaufnahmen wurden auch im Prozess gezeigt.
18:19Als Gefäß wurde alles benutzt, was offensichtlich da war.
18:23Die Wanne, das Aquarium bis hin zu Plastikeimern und Kochtöpfen.
18:28Die Kinder, die befanden sich also in Folientüten, also Einkaufsbeuteln in der Art, beziehungsweise auch in Stoffbeuteln und dann im Erdreich.
18:37Und ringsherum war noch allmöglicher Müll, der sich möglicherweise in der Wohnung befunden hat, im Bad oder wie auch immer.
18:44Wie zum Beispiel Toilettenspül-Tabs, also was man da so einhängt in Toilettenbecken.
18:51Verpackungsmaterial von Toilettenpapier, von Windeln, so etwas fand sich alles noch mit in diesem Erdreich.
18:56Einige Gefäße sind mit Blumen und Kräutern bepflanzt worden.
19:02Alles stand auf dem Balkon, den auch die Familie nutzte.
19:07Jedes Jahr kam ein neues Gefäß dazu.
19:11Insgesamt neunmal.
19:12Die Behauptung von Sabine H. in diesen Jahren exzessiv getrunken zu haben, wird im Prozess bestätigt.
19:23Durch die gerichtsmedizinische Untersuchung der Babys.
19:26Bei drei wurden aus den Weichteilen dann später noch Ethylglocoronid versucht zu bestimmen oder festgestellt, auch festgestellt in den Weichteilen.
19:37Dabei handelt es sich um ein Abbauprodukt von normalen Ethanolalkohol und der sich in die Weichteile einlagert.
19:43Das heißt, die Kinder waren mit Sicherheit alkoholisch beeinflusst, als sie geboren worden sind und haben möglicherweise auch nicht mehr geschrieben.
19:51Unklar bleibt damit auch, ob sie bei der Geburt gelebt haben.
19:55Und das war so der Punkt, auf dem ich als Verteidiger umgeritten bin, dass sie gesagt hat, wenn wir das nicht wissen,
20:03dann können wir sie natürlich ihr auch nicht vorwerfen, dass sie die Kinder umgebracht hat.
20:08Aber das hat das Gericht letztlich anders gesehen.
20:11Am 1. Juni 2006 wird Sabine H. zu 15 Jahren Haft verurteilt.
20:17Aber nicht wegen Mordes, sondern nur wegen mehrfachen Totschlags.
20:21Weil laut Gericht nicht nachgewiesen werden konnte, dass sie die Neugeborenen aktiv getötet hat.
20:28Der Vater der Kinder wird in dem Verfahren als Zeuge gehört.
20:32Er erklärt nichts von den Schwangerschaften seiner Frau bemerkt zu haben.
20:36Oder von den Geburten.
20:39Das Gericht kann ihm nicht das Gegenteil beweisen.
20:42Sabine H. kommt ins Frauengefängnis, in die JVA Lukau-Duben.
20:49Dort beginnt zwangsläufig ein neues Leben für sie.
20:52Und eine Zeit des Wartens.
20:55Denn monatelang ist unklar, ob das Urteil so bleiben wird, weil beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt wurde.
21:012008 gibt es dann tatsächlich einen 2. Prozess.
21:07Wieder in Frankfurt-Oder.
21:09Noch einmal muss ihre Schuldfähigkeit geprüft werden.
21:13Zum 1. Mal spricht sie nun selbst vor Gericht.
21:17Die inzwischen 42-Jährige spricht über ihre Ehe, ihre Alkoholsucht und die toten Babys.
21:23Dabei erklärt sie, nur dem 1. Kind hat sie ins Gesicht geschaut.
21:30Doch geliebt hätte sie alle.
21:34Das hat sie auch so beschrieben.
21:36Das wäre möglicherweise nie rausgekommen, wenn sie z.B. die sterblichen Überreste einfach entsorgt hätte.
21:45Das konnte sie nicht, das hat sie nicht gemacht.
21:47Die mussten bei ihr bleiben.
21:49Außerdem beschuldigt sie nun, ihren Ex-Mann von den Schwangerschaften gewusst zu haben.
21:53Eine Aussage, die auch Prozessbeobachter beschäftigt.
21:58Er hat ja damals gesagt, er hat nichts von diesen neuen Schwangerschaften mitbekommen.
22:03Aber es war ja so, dass die nicht in einem Palast gewohnt haben, sondern in einer Neubauwohnung.
22:09Haben zusammen in einem Bett geschlafen.
22:12Und für mich ist es deshalb nur schwer nachvollziehbar, dass er nichts mitbekommen hat.
22:18Die Staatsanwaltschaft hat ihm das aber abgenommen.
22:20Und von daher ist ja damals ja auch kein Ermittlungsverfahren gestartet worden und auch keine Anklage dementsprechend erhoben worden.
22:28Das Urteil gegen seine Ex-Frau Sabine H. wird im Revisionsverfahren dagegen bestätigt.
22:34Ihr wird volle Schuldfähigkeit bescheinigt.
22:37Die Frau ist zweimal forensisch-psychiatrisch untersucht worden.
22:43Und beide Fachärzte sind unabhängig voneinander zu der Erkenntnis gekommen,
22:54dass sie in keinster Weise in irgendeiner Form in ihrer Handlungsfähigkeit, Schuldfähigkeit beeinträchtigt gewesen ist.
23:07Sie muss also wieder zurück in die JVA Lukau-Duben.
23:13Das Urteil, 15 Jahre Haft wegen mehrfachen Totschlags, ist rechtskräftig.
23:19Es war eine sehr emotionale Geschichte, einer der emotionalsten Fälle, die wir hier in der Region hatten,
23:29weil es eben zum einen um Kinder ging und Kinder, die auch noch getötet worden sind.
23:35Die Leute haben sich damit beschäftigt.
23:36Ich glaube, kein Familientreffen oder auch kein Stammtisch hat nicht über diesen Fall gesprochen.
23:41Also es war sehr präsent in der Stadt und also eben nicht nur in der Stadt Frankfurt, sondern auch darüber hinaus.
23:48Hier in Frankfurt-Ode wurden die neun Kinder in aller Stille beerdigt.
23:52Bis heute löst ihr Schicksal Nachdenken aus.
23:57Was wäre mit den Kindern heute? Hätten sie einen Beruf gelernt? Wie wären sie groß geworden?
24:02Hätten sie eigene Familien gehabt?
24:03Und so gerade auch, weil es eben nicht nur ein Kind war, sondern so viele Kinder, die ganz individuell möglicherweise in die große Welt gegangen wären.
24:15Über das, was sich über Jahre in einer Brandenburger Wohnung abspielte, wurde in zwei Gerichtsprozessen geurteilt.
24:25Trotzdem gibt es nur Erklärungsansätze für das Unerklärbare.
24:29Es gibt eine psychodynamische Hypothese, dass, wie wir mit unseren Kindern umgehen, verspiegelt wieder, wie wir mit dem verletzbaren, bedürftigen Teil in uns selbst umgehen.
24:47Aus dieser Hypothese heraus können Sie sich vorstellen, was diese Frau mit sich selbst gemacht hat, bevor sie die Kinder sterben lassen, getötet hat.
24:54Und diese Zweischneidigkeit, diese Beschädigung der eigenen Person, die in diesen Handlungen steckt und das Unschuldige nicht zu schützen, ein neues Leben.
25:10Und das so häufig zu wiederholen für den eigenen Vorteil, darin steckt eine sehr große Kälte und Härte.
25:28Neben allem Leid, das diese Frau sicherlich erlebt hat.
25:31Neun Babys wurden verscharrt und vergraben.
25:39Es bleiben neun nicht-gewehrte Leben.
25:42Inzwischen lebt Sabine H. wieder in Freiheit.
25:492015 wurde sie nach zehn Jahren Gefängnis vorzeitig aus der Haft entlassen.
25:54Ihre älteste Tochter hat sie aufgenommen und ist gemeinsam mit ihr in eine andere Stadt gezogen.
25:59Das war's für heute. Danke fürs Zuschauen.
26:01Nächste Woche geht's weiter mit unserer Reihe Die Spur der Täter.
26:04Den ganzen Sommer lang zeigen wir, wie es der Polizei gelungen ist, spektakuläre Verbrechen aufzuklären.
26:10Los geht's wie immer um 19 Uhr. Bis dahin, alles Gute.

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